Ganz tief sorry

Eine Gesellschaft, die in wortreiche Hilflosigkeit verfällt: Kathrin Rögglas Stück„Die 50 mal besseren Amerikaner / Fake Reports“ am Thalia in der Gaußstraße

Der Anfang ist grotesk: Vier Papphäuser kommen auf die Bühne gewackelt. Von innen heraus werden Fenster und herzförmige Muster ausgeschnitten. Menschen kommen zum Vorschein. Zu Bombengeräuschen und wabernden Staubwolken fangen die vier SchauspielerInnen an zu sprechen.

Was folgt, sind 60 Minuten im Konjunktiv und in der dritten Person: „Man müsse doch ...“ Sich informieren zum Beispiel. Autorin Kathrin Röggla hat in dem Theatertext Die 50 mal besseren Amerikaner / Fake Reports, der jetzt am Thalia in der Gaußstraße aufgeführt wurde, die Sprachlosigkeit der deutschen Öffentlichkeit verarbeitet. Sprachlosigkeit in Zeiten des Betroffensein-Müssens: Die anfängliche Anspielung mit den Häusern gilt weniger der Rettung von Verschütteten in Ground Zero. Es stellt eher das Heraustreten ferner Beobachter aus heimischer Balkonblumen-Idylle dar.

Die Texte beruhen auf Artikeln, die Röggla nach dem 11. September in der taz veröffentlicht hat. Sie selbst hat daraus eine Theaterversion erarbeitet. „Man sei doch dabei gewesen. Man habe es ja nicht glauben können. Man habe ja gar nicht gewusst, was man habe fühlen sollen.“ Die Fernsehfrau, die angesichts des einstürzenden World Trade Center einfach weiter moderiert hat, entschuldigt sich mit ihrer Professionalität oder dem, was sie dafür gehalten habe. Kriegsberichterstatter tun wortreich ihr eigenes Unwissen kund. Reporter demonstrieren fachmännisches Warten.

Nichts ist mehr sicher, suggeriert diese Sprechweise. Das sprechende Individuum versteckt sich hinter anonymen Formulierungen. Rögglas Text soll eine Diskursanalyse sein. Die Analyse mit künstlerischen Mitteln ist eher eine Widerspiegelung geworden. Reicht das angesichts eines Diskurses, der sich durch die simultane Einschränkung des Gesagten auszeichnet? In der Inszenierung von Barbara Weber jedenfalls kommen die Personen als Textmaschinen daher. Das ist angemessen. Die Regisseurin hatte die nicht leichte Aufgabe, den Text in Bilder zu übersetzen. Es ist ihr mit viel Spaß an der Absurdität gelungen. So dienen umgestülpte Blumentöpfe der Gehirnwäsche und sehen dabei wie Blauhelme aus. Bilder von Bush, Rumsfeld und John Wayne werden aufgehängt. Überdimensionierte Mikros fangen unbeholfene Gefühlsäußerungen ein: „Jetzt sind wir so ganz tief aus uns heraus sorry.“

CHRISTIAN RUBINSTEIN