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„Da treffen Sie uns am Nerv“

In ihrem jüngsten Statistischen Jahresbericht musste die Handelskammer einräumen, dass auch die Bremer Unternehmen mehr Ausbildungsplätze abgebaut als neu geschaffen haben. In Niedersachsen sollen 9.300 Ausbildungsplätze fehlen

taz ■ Dirk Plump trieb es die Zornesröte ins Gesicht. „Entschuldigen Sie bitte, dass wir uns da so echauffieren“, sagte der distinguierte Mann höflich, doch energisch, „aber da treffen Sie uns am Nerv“. Das Thema, das den Präses der Bremer Handelskammer während der Vorstellung des Statistischen Jahresberichts 2002 heftig umtrieb, war der Mangel an Ausbildungsplätzen. Genauer: Die von der Bundesregierung angedrohte Ausbildungsplatzabgabe für Unternehmen, die keine Lehrlinge mehr einstellen – für Plump ein Unding.

„Von weiteren staatlichen Eingriffen in dieser Richtung halten wir überhaupt nichts“, sagte der Präses. Drücke die Bundesregierung die Strafabgabe durch, wäre das „Gift für das duale Ausbildungssystem“ und erschüttere „die Grundfesten dieses weltweit anerkannten Konzepts“. Obwohl man mit „den entsprechenden Politikern“ zusammengesessen habe, sei bei denen kein Meinungswandel erkennbar. „Wir sind schon ein bisschen enttäuscht“, so Plump. „Glauben Sie ernsthaft, dass eine Ausbildungsabgabe den Standort Deutschland wieder attraktiver macht?“

Erst in der vergangenen Woche hatte Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) neue Zahlen auf den Tisch gelegt: Danach bilden mehr als 500.000 Unternehmen in Deutschland derzeit keine Lehrlinge aus, obwohl sie von ihren Voraussetzungen dazu in der Lage wären. SPD und Grüne bekräftigen ihre Absicht, notfalls per Gesetz nicht ausbildende Betriebe zu einer Abgabe zu verpflichten. Mit dem Geld sollten bei den Kammern zusätzliche Ausbildungsangebote geschaffen werden.

Im Statistischen Jahresbericht kleidete die Handelskammer die Bremer Ausbildungssituation in euphemistische Satzgirlanden: „Angesichts der anhaltenden konjunkturellen Schwäche sahen sich die Unternehmen 2002 gezwungen, tendenziell mehr Ausbildungsplätze abzubauen als neue zu schaffen“, heißt es da. Zwar hätten sich bei Versicherungen und Finanzdienstleistungen Zuwächse ergeben. Im Bau- und Gastgewerbe, im Facheinzelhandel und im Kreditgewerbe habe die Ausbildungsbereitschaft jedoch gleichzeitig „leicht nachgelassen“. In der Tat: Im Vergleich zu 1.058 neu eingetragenen Ausbildungsverhältnissen 2001 wurden in den gewerblichen Berufen ein Jahr später nur noch 939 Lehrlinge eingestellt. Im kaufmännischen Bereich sieht es nicht besser aus: 2.329 neuen Ausbildungsverträgen 2001 stehen 2.256 im Jahr 2002 gegenüber. Besonders augenfällig ist das Problem bei den Industriemechanikern, bei denen die Zahl neuer Lehrlinge von 157 auf 111 gefallen ist. Und bei den Kaufmännern und -frauen im Groß- und Außenhandel, wo die Zahl von 260 auf 216 abnahm.

Manche Unternehmen betrachteten das Thema Ausbildung als „reine Kostenfrage“, musste Plump einräumen. „So weit ist die moralische Verantwortung bei Großbetrieben gekommen“, sagte der Präses. Es dürfe keinesfalls passieren, dass immer mehr Firmen den Faktor Ausbildung „zu einem Rechenexempel degradieren“ – und sich via Abgabe einfach freikauften: „Kucken Sie sich doch an, wie das bei den Schwerbehinderten gelaufen ist“. In dieselbe Kerbe hieb Peter H. Greim, Präsident der IHK Bremerhaven: „Wenn das so weitergeht, wird die duale Ausbildung irgendwann nur noch von beamteten Lehrkräften ausgeübt – inklusive der Praxis.“

Vor einer „Ausbildungsplatz-Katastrophe“ warnt auch die niedersächsische SPD. Deren jugendpolitische Sprecherin Gitta Trauernicht rechnet mit 9.300 fehlenden Ausbildungsplätzen im Land. „Es ist nicht einzusehen, dass nur ein Drittel der Betriebe ausbildet, sagte sie. Die CDU/FDP-Regierung werde ihre Versprechen, jedem Jugendlichen eine Lehrstelle anzubieten, nicht einhalten können. Markus Jox

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