Den Blick fürs Geschlechtliche schärfen

In drei Semestern zur Genderkompetenz: An der Freien Universität wurde am Wochenende ein neuer Postgraduierten-Studiengang eingerichtet

Gender Studies sind eine radikale Wissenschaft, bringen aber kein Geld ein Immerhin: Genderberatung wird als Arbeitsumfeld zunehmend attraktiv

Ohne Sorge in die Zukunft: Das mag im vergangenen Jahrzehnt ein Slogan für Start-up-GründerInnen gewesen sein. Keinesfalls trafen derartige Parolen auf die Berufsperspektiven all jener zu, die an den Unis dieser Stadt Lehrveranstaltungen der Frauen- und Geschlechterforschung besuchen.

Besonders die neueren Theorien, die etwa Theoriestar Judith Butler formulierte, beschränken sich in ihrer Praxiswirkung auf Veränderung von Bewusstsein: Unterschiedliche kulturelle und nicht biologische Konstruktionen von Geschlecht sind es, die zu Geschlechterstereotypen führen. Indem sie Eindeutigkeiten von Geschlechtervorstellungen in Frage stellen, sind die Gender Studies eine radikale Wissenschaft, aber keine Wissenschaft, die Geld einbringt.

Nach der Frauenforschung mit ihren Konzepten der Gleichstellungspolitik liefert nun aber auch diese neuere Geschlechterforschung Impulse für die Praxis. „Am 4. März 2003 beschloss der Senat die Einsetzung der ‚Landeskommission Gender Mainstreaming‘ “, heißt es in einer Pressemitteilung des Senats für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Bis April 2004 sollen Pilotprojekte in vier Bezirken starten. Wie diese Maßnahmen im Einzelnen aussehen werden, steht noch nicht fest. Dafür können bis dahin Verwaltungsangestellte sich in so genannten Gender Trainings den Blick schärfen lassen – eine neue Dienstleistungsbranche, die derzeit nicht über magelnde Nachfrage klagen kann. Diese Trainings sollen Gender-Grundwissen vermitteln, das Bewusstsein für Geschlechterstrukturen sensibilisieren und Kenntnisse für die Umsetzung in der politischen Praxis weitergeben.

Der Bundeskanzler in Frauenkleidern und Angela Merkel als Mann? Regina Frey, die in ihrem Kreuzberger Büro staatliche Institutionen wie auch Nichtregierungsorganisationen in Fragen des Gender Mainstreamings berät, formuliert das eher so: „Natürlich gibt es Praktikantinnen Anfang 20, die selbstbewusst ‚Was kümmert’s mich?‘ fragen“, erzählt sie aus dem Trainingsalltag. „Selbst diese SkeptikerInnen beginnen im Laufe eines Trainings aber, sich für Geschlechterfragen zu interessieren.“

Als Lehrbeauftrage eines neuen Studiengangs an der Freien Universität Berlin setzt Regina Frey ihre Vermittlung zwischen Frauen- und Geschlechtertheorie und Berufsalltag nun fort. Als weiterbildendes und postgraduales Angebot versteht sich der Zusatzstudiengang Genderkompetenz, der am Wochenende mit einer Auftakttagung eröffnet wurde.

Drei Tage lang wurde trotz des schönen Wetters und trotz des etwas leblosen Titels „Kompetenz und/oder Zuständigkeit“ das Verhältnis von Geschlechtertheorie und Gleichstellungspraxis im gut gefüllten Harnack-Haus in Dahlem diskutiert. Gut 100 Teilnehmerinnen und nur etwa vier Teilnehmer hörten Vorträge wie „Chancen und Risiken von Gender Mainstreaming“.

Auf einem Podium schließlich wurde der Studiengang vorgestellt: Innerhalb von drei Semestern sollen maximal 30 Studierende mit abgeschlossenem Erststudium den Studiengang belegen können. Das volle Studium startet im kommenden Wintersemester zu einem Preis von 550 Euro pro Semester. Ein bezahlter Aufbaustudiengang: ungewöhnlich für die Freie Universität.

„Genderberatung wird als Arbeitsfeld zunehmend attraktiv“, erläutert Regina Frey die Bedeutung des Studiengangs. Also ohne Sorge in die Berufszukunft durch das Studium extrem komplexer Theorien? Hat man es da nicht einfach nur wieder mit arbeitslosen Kulturwissenschaftlern zu tun, die mangels Alternativen weitere arbeitslose Kulturwissenschaftler ausbilden, und so weiter? Besteht da nicht die Gefahr der Verwässerung?

Zumindest letzterer Problematik scheint sich die neu entstehende Genderbranche sehr wohl bewusst zu sein. Zumindest auf der Auftakttagung des Studiengangs wurde immer wieder auch komplexe Theorie diskutiert. Für Regina Frey gehören die neueren dekonstruktivistischen Gendertheorien zu der Werkzeugkiste, die sie den Studierenden des Zusatzstudiengangs Genderkompetenz mit in die Praxis geben möchte. Denn gerade Theoriebildung sei derzeit vonseiten der Politik noch zu selten berücksichtigt.

Vielleicht werden radikale Theorien ja sogar auf diese Art vom Transfer in den Alltag lernen. CHRISTOPH BRAUN