Radio als Demonstration

Drei Wochen lang dürfen mehrere Initiativen zeigen, was freies Radio heißen könnte. Seit Sonntag sind sie auf Sendung, dank einer Kooperation mit der Volksbühne. Die MABB gibt sich skeptisch

von TILMAN GÜNTHER

Es ist die letzte Ansage aus dem Studio im Prater: „Bye bye, Ersatzradio, welcome, Juniradio.“ Dann hallen Maschinengewehrfeuer und Tieffliegerlärm durch die Räume des Bootlab. Sebastian Luxemburg sitzt an seinem Rechner und spielt das indizierte Computerspiel „Castle Wolfenstein“ – damit beginnen um Mitternacht die ersten Sendeminuten des freien „Juniradio“.

Etwa fünfzig Gäste sind zur Eröffnung in die alten Lagerräume in der Ziegelstraße gekommen. Ausnahmsweise darf im Studio geraucht werden. Zwei Tische, Plattenspieler, Mischpulte, zwei Mikrofone, die technische Ausstattung ist eher minimalistisch. „Für das Studio haben wir 500 Euro investiert“, erklärt Oliver Pritzkow. „Das meiste haben wir uns von verschiedenen Leuten zusammengeliehen.“

Das ist offenbar kein Problem, wenn sich nur ausreichend viele Radioenthusiasten zusammentun. Das Juniradio ist ein Projekt von mehreren Radioinitiativen und Vereinen. Hier haben sich Leute zusammengeschlossen, die bisher nur als illegale Piratenradios senden konnten oder freie Radios aus Husum, Halle oder Freiburg kennen, in Berlin aber vermissen.

Die Radiokampagne bemüht sich seit Januar 2002 um eine Verbesserung der politischen Bedingungen für freie Radios. 3.000 Unterschriften hat sie dafür gesammelt. Dazu kommen der ehemalige Piratensender Twen FM und das Klubradio, die vor allem für das elektronische Musikprogramm zuständig sind, und Bootlab e. V., ein Zusammenschluss von Programmierern und Netzaktivisten. Drei Wochen lang dürfen sie nun senden, rund um die Uhr. Juniradio übernimmt die Frequenz 104,1, die für das Projekt „Ersatzstadt“ der Volksbühne angemietet wurde. Die „Ersatzstadt“ trägt auch Betriebskosten und Gebühren.

„Juniradio wird eine Demonstration sein, dass freies Radio funktioniert“, erklärt Johannes Wilms von Bootlab. Denn in einer Anhörung des Abgeordnetenhauses zu den „Chancen für eine Frequenzvergabe an freie Radios“ seien vor allem zwei Gegenargumente genannt worden: Freie Radios würden mit mangelnder journalistischer Qualität produziert und könnten kein 24-stündiges Programm liefern.

Dabei sehen die Rahmenbedingungen nicht ungünstig aus. Im Rundfunkstaatsvertrag der Länder ist die Möglichkeit der Förderung freier Sender festgeschrieben. Bis zu 2 Prozent der Rundfunkgebühren können dazu verwendet werden, in Berlin und Brandenburg wären das rund 180.000 Euro. Dafür muss die Förderung aber auch in den Landesmediengesetzen verankert werden. Immerhin laut Koalitionsvertrag halten SPD und PDS die Förderung der freien Radios für „wünschenswert“. Konkrete Förderkonzepte stehen jedoch nach wie vor aus.

„Wenn der politische Wille da ist, dann muss er umgesetzt werden“, erklärt Susanne Grams, Sprecherin der Landesmedienanstalt. Doch die Wellenlänge des Juniradio wird zurzeit nur für die Dauer bestimmter Veranstaltungen vergeben. Momentan besteht nach Ansicht der Medienanstalt keine Rechtsgrundlage für ein freies Radio. Auch der Bedarf ist umstritten. „Wir haben unglaublich viele engagierte Radios in Berlin“, meint Grams und verweist auf Jam FM und Jazz Radio. „Denen die Hörer wegzunehmen, das muss man erst mal begründen.“

Die kulturelle Nische sei dennoch groß genug, glauben die Macher des Juniradios. „Es gibt eine große Vielfalt an kulturellen Produktionen und eine sehr lebendige Indie-Label-Landschaft“, betont Johannes Wilms. Die Subkultur habe jedoch keine Chancen, im Radio gespielt zu werden oder selbst Programme zu gestalten. Die Frequenzvergabe an das schwul-lesbische BluRadio und den russischsprachigen Sender Russkij Radio Berlin seien nicht ausreichend: „Wir wollen keine Sendeghettos“, sagt Oliver Pritzkow. Schwule, Ausländer und Frauen würden das Juniradio ganz selbstverständlich mitgestalten. Eine internationale Dimension soll das Programm durch die Zuschaltung von freien Radios in Tokio, Delhi, New York und Sydney bekommen, die ihre Beiträge teils extra für Juniradio produzieren.

Zum Stolz der Berliner gehört auch das mit freier Software selbst programmierte Redaktionssystem. Denn obwohl viele der Juniradio-Leute aus der Computerkultur kommen, ist Internetradio keine Alternative. „Nicht alle haben eine Breitbandanbindung ans Internet“, meint Pritzkow. „Radio gehört in den Äther.“