jenseits von glasgow: Alternativfußball bezaubert in Bremen
Piranhas fressen Balltänzer
„Stoppfehler fallen nicht ins Gewicht. Hauptsache der Einsatz stimmt“, kommentierte Reinhold Beckmann hörbar genervt das Spiel der deutschen Nationalmannschaft im Glasgower Hampden Park. In Bremen, am Rande der 17. Deutschen Alternativen Fußballmeisterschaft (kurz: DAM) verfolgte man den Auftritt von Völlers Elf, die hier offiziell unter „Rudis Resterampe“ firmiert, gelassener. Das eigentlich Herz der Fußballnation schlug zu Pfingsten nämlich an der Weser: Allein am Samstag spielten 28 Teams 70 Partien aus. Und das Turnier ließ keine Wünsche offen – es sei denn, man wollte unbedingt grobe Unsportlichkeiten sehen. Das Topp-Spiel fochten das „Friedensplenum Iserlohn“ und die „Söhne der Mutter“ aus Kassel aus. Geschenkt haben wollte da keiner etwas: Statt mit einer Schwalbe Elfmeter zu schinden, weigerten sich die Herren mit der boxenden Taube auf dem Trikot, einen Strafstoß auszuführen.
Apropos Frieden: Das Motto „Kicken statt ballern“ zeigt, wes Geistes Kind die alternativen Kicker sind – es ist der entspannteste Sportsgeist, der sich denken lässt. Die Mannen von „Roter Stern Hübdüdü“ etwa haben Schillers Spruch, in der Ruhe liege die Kraft, zur Maxime erhoben. Mit aufgedrehtem Ghettoblaster lungerten die jungen ostfriesischen Athleten vor ihrem Zelt herum und stärkten sich so mental für die nächste Begegnung. Zelten war Pflicht, wenn die Crème de la Crème der Wilden und Bunten Ligen zusammenkommt. „Hotelschläfer“ werden, wie die Geschichte der DAM zeigt, gnadenlos geächtet. Sport-Snobs haben auf den Bolz-Plätzen der alternativen Fußballmeister nichts verloren. Es ist ja auch nicht das fußballerische Niveau allein, das über die Teilnahme entscheidet. Was zählt, ist die richtige Bewerbung. So bauten die Freiburger „Kurzschluss Osram Heynckes“ ein 49 Kilo schweres Stadion mit funktionsfähiger Flutlichtanlage nach. Die Kölner „Betong Union“ hingegen drehte ein Musikvideo. Titel: „Bremen sucht den Superstar“.
„Was dabei rauskommt, ist eine bunte Mischung aus Traditionsmannschaften, Sympathieträgern und Teams, die maßgeblich zum Bierkonsum beitragen“, erläutert Michael Pelster vom Gastgeber und amtierenden Meister „Roter Stern Bremen“ und nippt an seinem Pils. Die Getränke seien wichtig für die Refinanzierung, erklärt der Diplom-Bauingenieur. 25.000 Euro stecken in der Veranstaltung. Dafür ist an alles gedacht: Während Papa auf dem Rasen zaubert, können die mitgereisten Kinder die Tricks des Magiers Friedrich verfolgen. Sogar ein Massage-Zelt ist vor Ort. Dort verwöhnen Heidi Strombeck und ihr Team erschöpfte Kicker wahlweise mit dem kostengünstigen „Wadenbeißer“ oder dem aufwändigeren „Doppelten Lottchen“, einer vierhändigen Spezialbehandlung. Nicht nur für die „Begnadigten Körper“ aus Oldenburg ein verlockendes Angebot. Deren Freude kennt keine Grenzen, als sie das Leder erstmalig im Netz versenken: „Wir haben Torszenen!“, jubelt der Coach der jungen Mannschaft, von Gerstensaft, Sonne und einem gnädigen Fußballgott euphorisiert.
Aus den Lautsprechern im Festzelt grantelt Beckmann derweil weiterhin über das Spiel, durch die Lautsprecher draußen wird durchgesagt, dass man jetzt auch Zigaretten erstehen könne. Weizen gibt es auch. Vielleicht hätte man ja den Basler fragen sollen, ob er das Endspiel pfeift? Bei Werder Bremen jedenfalls fand sich niemand dazu bereit. „Jemand wie Jens Todt hätte das sicher gemacht“, vermutet Pelster. Immerhin haben Todt wie der Ex-Werder-Manager und derzeitige Bildungssenator Willi Lemke (SPD) ein Grußwort zum liebevoll gestalteten Programmheft beigetragen.
Nun stellt „Wie früher Moskovskaya“ den Unparteiischen, der das finale Fußballdrama am Sonntagnachmittag leitet. Stoppfehler gibt es kaum, der Einsatz stimmt trotzdem: Im strömenden Gewitterregen vernaschen die „FFK Piranhas“ die Bielefelder „Balltänzer“ mit 3:0. Nächstes Jahr muss Beckmann also zu den „Piranhas“ nach Regensburg jetten, wenn er engagierten Fußball sehen will.
CHRISTOPH KUTZER
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