Die Lufthoheit über New Labour

Die Euro-Debatte wirkt wie eine Kulisse zum Machtkampf zweier Politiker: Gordon Brown und Tony Blair. Tatsächlich ist Europa für die britische Politik unter Tony Blair unwichtiger geworden

BERLIN taz ■ Gäbe es Europa nicht, wäre Regieren in Großbritannien viel einfacher. Immer, wenn die EU die britische Innenpolitik überschattet, fahren Regierungen in London gegen die Wand. Margaret Thatcher und John Major wurde die Uneinigkeit ihrer Partei zum Verhängnis. Tony Blair will das um jeden Preis vermeiden. Aber selbst ihm gelingt das nur manchmal.

Selbst geschulte Kreml-Astrologen würden sich schwer tun, das Verhältnis von New Labour zum Euro zu verstehen. Nach gängigem Verständnis ist Tony Blair dafür und sein Finanzminister Gordon Brown ist dagegen. Doch kurz nach Labours erstem Wahlsieg 1997 überließ der neue Premierminister Blair Brown die Entscheidungshoheit über einen möglichen Euro-Beitritt. Seitdem erweckt die britische Regierung zuweilen den Eindruck, als springe ein europhiler Blair frustriert im Dreieck, während Brown mit dem Gewicht von mehreren Tonnen ökonomischer Detailstudien jeden Euro-Enthusiasmus im Keim erstickt. Andererseits hat das den Vorteil, dass Blair jede Klarheit unter Hinweis auf seinen Finanzminister vermeiden kann und damit weder auf EU-Ebene als Blockierer dasteht noch gegenüber seinen Wählern als Verkäufer der britischen Seele.

1994, kurz bevor Tony Blair seinen Parteifreund Brown als neuer Labour-Parteichef aus dem Rennen schlug, sollen sich die beiden bei einem Essen in der Nordlondoner Szenekneipe „Granita“ geeinigt haben: Wenn Blair Premierminister wird, überlässt er den Posten irgendwann in seiner zweiten Amtszeit Brown. Aus dieser apokryphen Geschichte, die im Laufe der Jahre zu einem Gründungsmythos New Labours wurde, entwickelten Blairs Freunde später die These, Blair würde erst noch Großbritannien in den Euro führen, um das dem notorisch Euro-skeptischen Brown zu ersparen. Der Vorteil davon für Blair: Brown müsste dem Euro zustimmen, um an die Macht zu kommen. Selbstverständlich erntet dies von Browns Anhängern, zu denen allmählich immer mehr im Streit zurückgetretene ehemalige Kabinettsmitglieder zählen, heftigen Widerspruch.

All diese Spekulationen haben dafür gesorgt, dass Labours Euro-Debatte wie eine Kulisse zu einem ewigen Machtkampf zweier Politiker aussieht. Bei den Konservativen war es früher umgekehrt: Parteiinterner Machtkampf wirkte immer wie eine Fassade für europapolitische Differenzen. Die Kehrseite davon ist, dass Labours Streit um den Euro fröhlich weitergehen kann, auch wenn er längst zu Ende ist. Als epische rhetorische Euro-Schlachten zwischen den Blair- und Brown-Anhängern in den letzten Wochen die Schlagzeilen beherrschten, wusste jeder, dass ein britischer Beitritt zur Währungsunion derzeit überhaupt nicht zur Debatte stand. Es ging allein um die Lufthoheit über New Labour. So wird der Euro in Großbritannien ganz unbemerkt zum Symbol für Uneinigkeit – ganz entgegen der Intention seiner Erfinder.

Insofern ist Europa in der britischen Politik unter Tony Blair tatsächlich unwichtiger geworden. Die relative ökonomische Schwäche der Eurozone hat dazu ebenso beigetragen wie der Streit um das Verhältnis zu den USA. Beide Themen haben den Briten geholfen, ihren im späten 20. Jahrhundert aus den Jahrzehnten des Niedergangs geborenen Minderwertigkeitskomplex gegenüber den Europäern abzuwerfen. Man lehnt das Treiben des Kontinents nicht mehr ab, weil man Angst vor Fremdherrschaft ab, sondern weil man es selbst besser kann. In der Verteidigungspolitik sieht Großbritannien Vorteile in einer engeren Zusammenarbeit mit europäischen Partnern; in der Wirtschaftspolitik eben nicht. Blairs strikt themengebundener EU-Enthusiasmus ist nicht die naive Begeisterung des Konvertiten, sondern die Gier eines Machtpolitikers beim Erspähen eines neuen Herrschaftsinstruments. Vielleicht sollte Brüssel froh sein, dass der Euro zu einem solchen Instrument nicht taugt.

DOMINIC JOHNSON