Faschismus? Vergesst es!

Wolfgang Pohrt hat es mal wieder geschafft, mit linken Thesen die Linke zu provozieren: der Sammelband „FAQ“

Nachdem am 3. Oktober vergangenen Jahres der Stuttgarter Publizist und Sozialwissenschaftler Wolfgang Pohrt auf Einladung des Berliner Bündnisses gegen Antisemitismus und Antizionismus einen Vortrag über den gegenwärtigen Zustand Deutschlands gehalten hatte, war der überwiegende Teil des Publikums mächtig verschnupft. Nun, das ist nichts Neues, Pohrt hat als Konkret-Autor wahrscheinlich mehr Leute vor den Kopf gestoßen, als die Zeitschrift Leser hat. Neu an dieser Aufregung war, dass im Publikum überwiegend, wenn man so will: Pohrtisten saßen. Eben die guten Linken: für Amerika, gegen Deutschland; für Adorno, gegen Lenin; für Schönberg und HipHop und auf jeden Fall gegen Heinz Rudolf Kunze.

Pohrts Essays, häufig für Konkret geschrieben und für viele Altlinke stets der beste Grund, ihr Abo zu kündigen, inspirierten in den 90er-Jahren eine nachgewachsene Linke: Er konnte denken wie Adorno und schreiben wie Christian Schultz-Gerstein, der legendäre Spiegel-Redakteur. Pohrt verabscheute die deutschen Zustände, so wie es die Linke seit dem jungen Marx nicht mehr erlebt hatte. An jenem 3. Oktober aber winkte er ab: Faschismus in Deutschland? Vergesst es! Deutschland greift wieder nach der Weltmacht? Lächerlich. Den wütenden Reaktionen in linken Blättchen und Internetforen merkte man vielfach die schiere Verzweiflung an. Pohrt, ein Renegat, wie konnte er nur!

Wer neugierig geworden ist, kann jetzt Pohrts Vortrag samt einem längeren, die Implikationen des Vortrags ausspielenden Essay und weitere unveröffentlichte Texte nachlesen: „FAQ“ – Frequently Asked Questions – heißt das Buch, sein erstes seit sieben Jahren.

Die Texte sind nüchtern betrachtet Bausteine einer Theorie der kapitalistischen Dynamik. Pohrt beschreibt eine globale Wirklichkeit, in der zunehmend ein Kapitalismus ohne Kapital und eine Marktwirtschaft ohne Markt Gestalt annehmen und in der selbst die mächtigsten Staaten von einem inneren Zerfall ergriffen sind. Apokalyptisches Raunen liegt ihm fern, der Tonfall ist heiter-resignativ und seine Polemik so rein und klar, dass es Verschwendung wäre, müsste er sie auf das Niveau linker Debatten herunterbrechen.

Wer zum Kraftzentrum des Pohrt’schen Denkens vordringen will, muss auf einen fast 30 Jahre alten Text zurückgreifen: „Die Theorie des Gebrauchswerts“, seine Doktorarbeit und einer der scharfsinnigsten Kommentare zur Marx’schen Kritik der Politischen Ökonomie. Hier entwickelt er den Grundgedanken, dass der Kapitalismus seine eigenen Grundlagen zerstört, ohne dass die erhoffte Zusammenbruchskrise naht, aus der das Proletariat siegreich hervorgeht. Vielmehr hebt sich der Kapitalismus auf seiner eigenen Grundlage auf, wir treten in eine geschichtslose Zeit ein. Die faschistische Epoche gibt uns darauf den ersten Vorgeschmack.

Um den weiteren Verlauf des Kapitalismus zu beschreiben, reicht das klassische Besteck – Wertgesetz, Mehrwertabschöpfung, tendenzieller Fall der Profitrate etc. – nicht mehr aus. Pohrt bevorzugt stattdessen eine Soziologie der Bandenwesens, er übt sich in sozialpsychologischen Stilübungen zur Verwilderung der Selbsterhaltung.

Kaum einer dürfte seine Dissertation gelesen haben, auch wenn sie seit einigen Jahren wieder greifbar ist. So kommt es, dass Pohrt als Provokationsteufel par exellence erscheint. Dabei folgt er streng den Prämissen seines an Horkheimer, Adorno, Günther Anders und Raymond Chandler geschulten Postmarxismus. Eine dieser Prämissen lautet: Auch der Faschismus, die ultimative Barbarei, hat ein Verfallsdatum. Die faschistische Gewalt, die Neonazis und brave Bürger in den ersten Jahren nach der deutschen Einheit exerzierten, ist für ihn letztlich nur ein Übergang in eine allgemeine Phase der gesellschaftlichen Regression und der Banden- und Cliquenherrschaft. In „FAQ“ beschreibt er den vorläufigen Endpunkt dieses Übergangs. Die deutschen Zustände sind eher bemitleidens- als hassenswert.

Pohrt verharmlost und relativiert, werden seine linken Kritiker sagen und dafür auch einige, durchaus bizarre Stellen finden. Das Stärkste aber, was man gegen Pohrt sagen kann, ist, dass wir in seinen jüngsten Schriften weniger etwas über die Dynamik des Kapitalismus als über die seines eigenen Denkens erfahren. So lustig und erhellend die Lektüre auch ist, man wird das Gefühl nicht los, dass Pohrt vor allem sein Spiel durchziehen muss. FELIX KLOPOTEK

Wolfgang Pohrt: „FAQ“. Edition Tiamat, Berlin 2004, 176 Seiten, 14 €