Blair steht und fällt mit EU-Verfassung

Vor dem Unterhaus erklärt der britische Premier, nur ein Volksentscheid könne die Frage nach der Rolle Großbritanniens in Europa eindeutig klären. Er geht mit dieser Kehrtwende ein hohes Risiko ein: Wenn er verliert, ist er politisch am Ende

BERLIN taz ■ Tony Blair will die künftige europäische Verfassung doch durch ein Referendum vom britischen Volk absegnen lassen. Vor dem Unterhaus in London begründete er gestern diese unerwartete und für ihn riskante politische Kehrtwende mit der „teilweise erfolgreichen Kampagne“ der EU-Gegner in Großbritannien. Diese wurde nicht nur von den oppositionellen Konservativen, sondern vor allem von den Boulevardzeitungen des Rupert-Murdoch-Presseimperiums geführt.

Blair kritisierte, dass dabei „Mythen geschaffen“ wurden – etwa, dass die Queen nicht länger Staatsoberhaupt sein könne oder dass die Briten gezwungen würden, auf der rechten Straßenseite zu fahren. Die Erweiterung der EU um zehn Staaten auf 25 Mitglieder sei „richtig für Europa und für Großbritannien, und dieses Land sollte sie unterstützen“, sagte Blair gestern. Den Zeitpunkt für die Abstimmung ließ er offen.

„Es ist Zeit, ein für alle Mal zu entscheiden, ob Großbritannien im Zentrum und Herzen der europäischen Entscheidungsfindung stehen will oder nicht, Zeit zu entscheiden, ob unser Schicksal ist, ein führender Partner und Verbündeter Europas oder eine Randfigur zu sein“, sagte Blair. Dem Referendum werde eine grundsätzliche Debatte des Verfassungsentwurfs im britischen Parlament vorausgehen. Im Unterhaus sollten „alle unsere Fragen beantwortet und alle Details offen gelegt“ werden, fügte er hinzu.

Blair hatte eine solche Volksabstimmung seit Monaten abgelehnt – auch weil eine Mehrheit äußerst fraglich schien. Sollte er das Referendum verlieren, könnte er kaum weiter als Premierminister amtieren. Von der euroskeptischen konservativen Opposition wurde eine Volksabstimmung dagegen gefordert, weil die geplante Verfassung ihrer Ansicht nach die Souveränität des Landes beschneide.

Mit dem Referendum will Blair Klarheit über eine der wesentlichen Streitfragen britischer Politik schaffen: Wie viel Macht sind die Briten bereit an Europa abzugeben? Bislang zögerten Anhänger der Tories, aber auch weite Teile der Labour Party stärker als andere Europäer, Befugnisse von den nationalen Regierungen an Brüssel zu übertragen. Blair hat stets erklärt, Großbritannien werde auf die Kontrolle über wichtige Bereiche wie Steuern, Verteidigung und Außenpolitik nicht verzichten, daher seien die Ängste vor einem Verlust der nationalen Souveränität nicht begründet. Mit seinem Entschluss beraubt Blair die Tories ihres wichtigsten Arguments vor der Europawahl im Juni und – noch wichtiger – eines Themas für die nächste Parlamentswahl, die vermutlich in der ersten Hälfte des kommenden Jahres stattfinden wird.

Auch andere europäische Staaten haben angekündigt, die Bevölkerung über die Annahme der Verfassung urteilen zu lassen, so Dänemark, Irland und Luxemburg. Die Niederlande, Polen, Italien, Spanien und Portugal erwägen einen solchen Schritt. Sollte ein Verfassungsentwurf in einem EU-Mitgliedsland abgelehnt werden, droht das gesamte Vorhaben zu scheitern. STEFAN SCHAAF