Früh anfangen und die Mütter einbeziehen

Die Bundesländer suchen seit dem Pisa-Schock nach der richtigen Spracherziehung für Migrantenkinder. Während die staatliche Bildungspolitik noch am Anfang steht, können private Initiativen bereits funktionierende Modelle vorweisen. Sie benutzen die Muttersprache der Zuwanderer als Anreiz

„Wenn Zuwanderer sehen, dass ihre Sprache gefragt ist, machen sie mit“ „Deutsch und die Muttersprache des Kindes sollen parallel aufgebaut werden“

aus München JÖRG SCHALLENBERG

Rhododendron. Oha, das ist ja schon für Erwachsene ein Zungenbrecher. Aber erst für drei- bis sechsjährige Kinder? Kein großes Problem. Denn Rhododendron bedeutet für die Kleinen hier im AWO-Kindergarten im Münchener Westen zunächst: viermal zu klatschen – Rho-do-den-dron. Valentina und Ria kichern vor sich hin. Den beiden Kindern griechischer Zuwanderer kommen die meisten Worte komisch und ungewohnt vor, die ihnen Edgardis mitbringt.

Edgardis heißt mit Nachnamen Garlin. Einmal in der Woche kommt sie für eine Stunde in die Arbeiterwohlfahrt-Kita in den Stadtteil Neuhausen, um den Kindern die „grundlegenden Strukturen der deutschen Sprache“ beizubringen. Weil aber neben Valentina und Ria auch noch Sekou, Fabio, Katharina, Ivan und Cuba aus Kroatien, Holland, Polen und Peru mit von der Partie sind, geht Sprache lernen nur spielerisch. Aus einem „Zaubersack“ hext Garlin diverse Bilderkärtchen hervor. Oder motiviert die Kinder mit Liedern, in denen die Eisenbahn in die Heimat ihrer Eltern dampft, mitzusingen und zu lernen. Wenn es um Pflanzen geht, dann stürmen alle raus in den Garten, um zu schauen, was dort so wächst. Kein Rhododendron übrigens.

Edgardis Garlin hat Deutsch als Fremdsprache studiert und 1997 über die Zweisprachigkeit ihrer beiden eigenen Kinder promoviert. Über die Leiterin eines Münchener Kindergartens, die wegen der eklatanten Sprachmängel vieler Kinder nach Hilfe suchte, kam Garlin in die Praxis: Sie baute ihre Doktorarbeit in ein echtes Lernprojekt mit Kursen, Sprachspielen und Lernmaterialien um. Angebote von offiziellen Stellen existierten nicht. „Sprachförderung“, sagt Edgardis Garlin, „ist eben erst seit Pisa richtig in Mode gekommen.“

Und seitdem die Ergebnisse wie jener Studie mit dem irreführenden Namen „Bärenstark“ vorliegen. Nach der im Mai veröffentlichten Untersuchung benötigen vier von fünf Berliner Vorschulkindern aus Migrantenfamilien dringend Förderung, fast die Hälfte gar „intensive Hilfe“, um dem Unterricht der ersten Klasse folgen zu können. Scheitern vorprogrammiert. Und weil das Thema nun mal in der Öffentlichkeit ist, will jedes Bundesland das erste sein, wenn es darum geht, bei der besseren Sprachförderung in Kindergärten und Grundschulen Vollzug zu melden (siehe Kasten).

Wenn es nach Edgardis Garlin ginge, dann sollte man damit lange vor der Grundschule anfangen. Sie entwickelte vor sechs Jahren mit dem Institut für Sprache und Sprachen in München ein Pilotprogramm, bei dem im Kindergarten „sowohl Deutsch als auch die Muttersprache des Kindes parallel“ aufgebaut wird. Aus dem Projekt sind die „Kinderkurse“, kurz Kikus, entstanden. Getragen werden sie von der Evangelischen Ausländerarbeit. Weder die Stadt München noch das Land Bayern bezuschussen die 29 Kurse, die Kikus im laufenden Kindergartenjahr anbietet.

Kikus ist nicht bloß Spielen. Garlin und jeweils eine Erzieherin, die in jeder Kita mit ihr arbeitet, geben auch Hausaufgaben. In einer Mappe dokumentieren die Kinder, was sie im Laufe des Kurses alles schreiben und zeichnen. In den eigenen Arbeitsmaterialien, die zusammen mit dem Illustrator Stefan Merkle entstanden sind, geht es immer wieder um die Muttersprache des Kindes. Auf diese Weise sollen die Eltern in die Hausaufgaben einbezogen werden. Und die Kinder erfahren, dass ihre eigene Sprache so wichtig ist wie das Deutsche. „Wenn die Eltern sehen, dass sie und ihre Sprache gefragt sind“, sagt Edgardis Garlin, „dann öffnen sie sich gegenüber dem Programm.“

Das würde Gabriele Hornung auch gern von den Eltern ihrer Kinder sagen. Sie ist Rektorin einer Grundschule im Münchner Stadtteil Hasenbergl, wo der Zuwandereranteil besonders hoch ist. Keine Seltenheit, dass die Hälfte der Schülerinnen und Schüler einer Klasse eine andere Muttersprache als Deutsch spricht. Deshalb bietet die Grundschule neben diversen Sprachkursen auch Hilfen für Eltern. „Leider“, umschreibt die Direktorin das Problem, „haben wir es hier nur mit einem sehr kleinen Prozentsatz aufgeschlossener und moderner Eltern zu tun.“ Viele Männer sind alles andere als begeistert sind, wenn ihre Frauen zusammen mit den Kindern Deutsch lernen. Wo es doch zu Hause genug zu kochen und zu putzen gibt.

Gabriele Hornung sagt das nicht so. Jedenfalls ist sie froh, dass inzwischen Hilfe des Freistaats Bayern ins Haus steht. Ihre Schule gehört im kommenden Schuljahr zu einem neuen Programm der Sprachförderung: den Sprachlernklassen. Im Hasenbergl wird ab September eine besondere Lernklasse für Abc-Schützen mit erheblichen Deutsch-Defiziten eingerichtet. Wer in dieser Klasse landet, bestimmt eine vom bayerischen Staatsinstitut für Pädagogik und Bildungsforschung entwickelte Sprachstandsdiagnose, die ähnlich wie Berlins Bärenstark noch im Kindergarten durchgeführt wird – und bald für alle Vorschulkinder obligatorisch sein soll.

In diesem Jahr kommen 71 neue Schülerinnen und Schüler zu Gabriele Hornung, von denen gut die Hälfte laut Test unterhalb einer Durchschnittsnorm lag. 12 gelten als „höchst förderbedürftig“. Das bedeutet, so die Rektorin, „dass sie über Deutschkenntnisse zwischen 0 und 10 Prozent des Üblichen verfügen“.

In ihrer Sprachförderklasse lernen die Kids intensiv Deutsch und Fächer wie Heimatkunde, Mathematik oder Sachkunde. Sport, Kunst oder Musik werden in ihrer „Stammklasse“ gegeben, zu der sie weiter gehören. Bayerns Kultusministerin Monika Hohlmeier sieht darin den Vorteil, „dass die Schülerinnen und Schüler zügig an den erforderlichen Leistungsstand herangeführt und auf der anderen Seite die Isolation und Gettoisierung dieser Kinder überwunden“ werden. Nach einem, spätestens zwei Schuljahren sollen die Sprachlernklässler wieder in die Regelklassen wechseln.

Die Idee, zurückhängende Schüler nicht aus ihren Mutterklassen zu verbannen, sondern sie parallel intensiv zu fördern, hat ihren Ursprung in Finnland. Die Bayern versuchen, noch mehr Finnisches zu kopieren. Ihr Entwurf sieht vor, bereits in den Kindergärten verstärkt Deutsch-Vorkurse für Kinder mit mangelhaften Kenntnissen anzubieten. In den Monaten Mai bis Juli vor dem jeweiligen Schuleintritt kommen Grundschul-Lehrerinnen in die Kindergärten, um eine Stunde pro Tag Deutsch zu unterrichten.

Edgardis Garlin von Kikus begrüßt es, dass nun auch die offizielle bayerische Schulpolitik aufgewacht ist. Aber das Sprachtraining für Vorschulkinder ist für sie ein reiner Crash-Kurs. Sprachenkompetenz zu erlangen, erfordert Zeit, so lautet ihre Philosophie. Garlin kritisiert, dass die Sprachtrainings zu spät kommen – und die externen Speziallehrer den Kindern fremd sind. Ihre eigenen Erzieherinnen bleiben außen vor.

Das Modell der Kinderkurse sieht dagegen vor, jede Lern- und Spieleinheit von einer Erzieherin begleiten zu lassen, die so an die Sprachförderung herangeführt wird. „In unserer Ausbildung“, beschreibt eine Erzieherin in Neuhausen das Qualifikationsproblem, „kommt so was ja nicht vor.“ Über Kikus werden die Erzieherinnen ans Sprachenlernen herangeführt; um eigenständig die Kurse zu leiten, brauchen sie allerdings eine Fortbildung. Auch die bietet Kikus an.

Das alles passt eigentlich hervorragend in den neuen bayerischen „Bildungs- und Erziehungsplan für Null- bis Sechsjährige“, der verbindliche Standards der Sprachförderung für alle 6.100 Krippen und Kindergärten vorsieht. Bis 2005 soll er flächendeckend stehen. Darin heißt es: „Erzählen und Vorlesen müssen einen weit höheren Stellenwert als bisher haben und nach Möglichkeit täglich angeboten werden.“ Jede Einrichtung soll eine Leseecke bekommen, Familienangehörige sollen regelmäßig zum Vorlesen im Kindergarten eingespannt werden. Dass die Bildung damit endlich im Kindergarten angelangt ist, wie es viele Experten lange fordern, heißt das aber noch lange nicht – denn dieser Plan stammt nicht vom Kultus-, sondern vom Sozialministerium.

Und den Ansatz, neben dem Deutschen auch die Muttersprache gezielt zu fördern, findet man abgesehen vom Ergänzungsunterricht nirgendwo wieder. So befürchtet Edgardis Garlin vom Intensivunterricht in den Sprachlernklassen, „dass dabei die eigene Sprache in den Köpfen brachgelegt wird“. Zwei Sprachen, so scheint es, sind in unserem Bildungssystem immer noch eine zu viel.

Kinderkurse und Materialien von „Kikus“ über: www.kikus-muenchen.de