Krieg in der Hauptstadt

Ultimatum an Liberias Staatschef: Rücktritt oder gewaltsamer Sturz. Ausländer werden aus Monrovia evakuiert

von DOMINIC JOHNSON

Ein Regime steht im Endkampf, eine Millionenstadt steht zwischen den Fronten. Seit die Rebellen der Lurd (Vereinigte Liberianer für Versöhnung und Demokratie) Ende letzter Woche die westlichen Vororte von Liberias Hauptstadt Monrovia einnahmen, sind nach Schätzung der britischen Hilfsorganisation „Merlin“ 300.000 bis 700.000 Menschen in der Stadt auf der Flucht – Monrovia hat 1 bis 1,5 Millionen Einwohner.

Nach einem UN-Bericht sind die verregneten Straßen Monrovias „voller fliehender Menschen auf der Suche nach sicheren Orten, die ihr ganzes Eigentum mit sich tragen“. Blidi Elliott, Leiter des Staatsrundfunks LBS, sagte: „Die Schulen, öffentlichen Gebäude und öffentliche Plätze sind voll“. Auch die LBS-Studios seien überfüllt mit Menschen, die nach ihren Kindern und Angehörigen suchten. Hilfswerke berichten, die Trinkwasserversorgung der Stadt sei zusammengebrochen. Die Regierung sagte am Montag, die Lebensmittelvorräte der Stadt reichten noch wenige Tage. Zuvor hatte sie die 115.000 Insassen von acht Kriegsvertriebenenlagern, die letzte Woche vor den Rebellen geflohen waren, dazu aufgefordert, sich im Samuel-Kanyon-Doe-Stadion im Stadtzentrum zu versammeln. Das zählt 35.000 Sitzplätze und sechzehn Toiletten.

Am Wochenende landeten französische Spezialtruppen aus der Elfenbeinküste in Monrovia und evakuierten mit Militärhubschraubern insgesamt 535 Menschen, zumeist westliche Ausländer und libanesische Händler. Die USA schickten 35 Marines, um die US-Botschaft zu schützen. Die Evakuierungen sollten gestern weitergehen.

Seit zwei Jahren stoßen Liberias Rebellen immer wieder nach Monrovia vor und bringen Präsident Charles Taylor kurzzeitig in Bedrängnis. Diesmal ist die Offensive schneller, stärker und dauerhafter als sonst. Sie erfolgte auf den vorläufigen Zusammenbruch von Friedensgesprächen in Ghana letzte Woche. Während Präsident Taylor seinen Stellvertreter Moses Blah unter dem Vorwurf eines Putschversuchs festnehmen ließ, rückte die Lurd bis auf wenige Kilometer an das Stadtzentrum heran.

Am Sonntag verkündeten die Rebellen eine Feuerpause und gaben Taylor drei Tage Zeit, zurückzutreten. „Wenn Taylor die Macht nicht abgibt, rücken wir ein“, sagte Lurd-Chef Sekou Conneh, der sich in Rom aufhält. Gestern früh setzte erneut schwerer Artilleriebeschuss auf die Hauptstadt ein, während ghanaische Vermittler eintrafen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln. Taylors Familie soll bereits nach Ghana ausgeflogen worden sein.

Die USA schlossen sich dem Wunsch nach einem Waffenstillstand an, nachdem sie zuvor der Forderung nach Taylors Rücktritt zugestimmt hatten. Am Montagabend hatte der UN-Sicherheitsrat in New York auf einer Dringlichkeitssitzung zu Liberia seine „tiefe Besorgnis“ verkündet und „Sicherheitsgarantien für den ungehinderten Zugang von Hilfswerken zu bedürftigen Gruppen“ verlangt.

Vor Ort wünschen sich manche Hilfswerke längst mehr. Ein britischer Mitarbeiter einer internationalen Hilfsorganisation sagte: „Truppen mit 100 bis 200 Mann würden reichen, gesicherte Plätze einzurichten, wo wir arbeiten könnten, aber die internationale Gemeinschaft tut nichts. Es ist, als ob sie auf das Chaos wartet.“ Ein westafrikanischer Diplomat, der ungenannt bleiben wollte, schlug gegenüber der UN-Nachrichtenagentur Irin vor, die 13.000 UN-Blauhelme im längst befriedeten Nachbarland Sierra Leone nach Liberia zu verlegen.