Abschiebung nach Afghanistan?

In Hamburg droht Tausenden Afghanen die Abschiebung, obwohl sie seit Jahren in der Hansestadt leben. Flüchtlingshelfer drängen Innenminister zur Eile und mahnen Bleiberecht für die Kriegsflüchtlinge an

aus Hamburg EVA WEIKERT

„Das Ausländerrecht kennt keine Moral“, stellt Rainer Albrecht klar. Der Jurist sitzt auf einem Podium unter dem nüchternen Titel „Abschiebung von Jugendlichen nach Afghanistan“, zu dem die Hamburger Diakonie diese Woche eingeladen hat. Doch emotionslos geht es mitnichten zu an diesem Abend in der Hansestadt, die eine Hochburg afghanischer Flüchtlinge ist. Dass Gesetze auf ihr Schicksal keine Rücksicht nehmen, droht rund die Hälfte der rund 17.000 in Hamburg lebenden Afghanen demnächst am eigenen Leib zu erfahren, wenn der Startschuss für Massenabschiebungen in das zerüttete Land fällt. Der 19-jährige Sia ist einer der 8.000 Hamburger Afghane ohne sicheren Aufenthaltsstatus und sitzt auch auf dem Podium. „Alles, was ich mir hier erarbeitet habe“, sagt der Gymnasiast, „wäre in Afghanistan nichts mehr wert.“

Anlass für Sias dramatische Warnung ist die Ankündigung der Innenministerkonferenz der Länder(IMK) vom November, den „Rückführungsbeginn nach Afghanistan möglichst noch im Frühjahr 2004 anzustreben“. Bisher hat zwar kein Bundesland den Vorsatz umgesetzt, doch mit einer Entscheidung über den Beginn systematischer Abschiebungen in das Bürgerkriegsland wird auf der nächsten IMK am 8. Juli in Kiel gerechnet.

Norbert Scharbach wird dabei sein. Heute ist der Beamte aus dem schleswig-holsteinischen Innenministerium nach Hamburg gekommen, um den rund 150 Zuhörern einen Vorschlag seines Chefs Klaus Buß (SPD) über ein Bleiberecht für Afghanen vorzustellen (siehe Kasten). „Wir müssen das Thema dringend angehen“, mahnt Scharbach, „bevor zurückgeführt wird.“

Dem Vernehmen nach unterstützen nach einem Treffen der Nord-Innenminister im März jetzt auch Bremen, Niedersachsen und Hamburg den Kieler Plan. „Im Juli muss die IMK ein Paket aus Bleiberecht und Rückführungsbeginn schnüren“, sagt etwa Michael Knaps, Sprecher des CDU-geführten Innenministeriums in Niedersachsen, und verweist auf die „schlechten Erfahrungen“ für Flüchtlinge aus Bosnien und den Kosovo in den 90er Jahren. Für sie installierte die Bundesrepublik erst ein Bleiberecht, nachdem die meisten längst abgeschoben hatte. Trotz Unterstützung durch die Nachbarn ist Scharbach skeptisch: „Es ist höchst unsicher, dass sich alle 16 Länder einig werden und ein Bleiberecht kommt.“

Dabei geht Menschenrechtlern und Flüchtlingshelfern noch der Kieler Vorstoß nicht weit genug, da er einen großen Teil der Afghanen in Hamburg vernachlässigt. Demnach dürften nämlich nur jene bleiben, die fest arbeiten. Durchs Netz fielen Tausende, die nur den mit einem Arbeitsverbot verbundenen Duldungsstatus haben.

Im Vergleich zu den Nachbarländern sind das im CDU-regierten Hamburg überaus viele, da die dortige Ausländerbehörde die privilegiertere Aufentshaltsbefugnis generell nicht mehr ausstellt. „Wir halten uns nur an Bundesrecht“, versichert Behördensprecher Marco Haase. Wegen solch rigider Behördenpraxis fordert die Flüchtlingsbeauftragte der Nordelbischen Kirche, Fanny Dethloff, an diesem Abend von Scharbach, den Gesetzentwurf aus Kiel auszuweiten und auch langjährig Geduldeten sowie in Deutschland geborenen Afghanen generell Bleiberecht zu gewähren.

Zugleich müsse die massive Diskriminierung von Frauen in dem teilweise von radikal-islamischen Taliban-Milizen beherrschten Land als Asylgrund anerkannt werden, mahnt die Pastorin. Auch die UN empfiehlt,derzeit nicht nach Afghanistan auszuweisen. „Fatal wäre vor allem, Mädchen abzuschieben, die dort nicht aufgewachsen sind“, so die afghanische Frauenrechtlerlin Zamira Tooki zur taz. „Frauen haben in Afghanistan keine Rechte, ihre Bildungschancen sind gleich null.“

Rund 5.600 afghanische Mädchen und Jungen besuchen in Hamburg derzeit die Schule, ein Drittel die Gesamtschule oder, wie Podiumsgast Sia, ein Gymnasium. Die meisten sind hier geboren oder haben den Großteil ihres Lebens in Hamburg verbracht. „Deutschland vergreist“, wundert sich Pastorin Dethloff, „da ist es eine Verschwendung an Ressourcen, diese Schüler einfach abzuschieben.“