frecher verbrecher von MICHAEL RUDOLF
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Folgendes: Man hat sich mit den meteorologischen Absonderlichkeiten dieses Monats nicht abfinden können und schöpft vage Hoffnung, dass es vielleicht doch eine Hand voll des Modekrauts Bärlauch geben dürfte. Augenblicklich wirft man Jagdbekleidung über, verstaut einen stabilen Karton im Rucksack, versenkt ein bärlauchblattlanges Messer im Stiefelschaft und gibt dem Rad die Sporen. Ein stadtbekannter Wald ist das Ziel. Den Schlüssel fürs Radschloss hat man in der Aufregung vergessen. Egal jetzt, Eile ist geboten. Klar.

Damit es schneller geht, hat man sich in die Kurven gelegt und ist im Planquadrat Ziel beinahe während der Fahrt vom Rad gehechtet. Flink hat man den treuen Radgefährten einem persönlich bekannten Baum zu Füßen gelegt. Er möge bitte ein bisschen darauf Acht geben.

Wie selbstverständlich ist das Rad weg, als man nach erfolgreicher Kräutersuche mit brechend vollem Lauchkarton am Stellplatz eintrifft. Mist, schreit man durchs fahle Frühlingsgrün. Da scheißt doch der Papst in den Wald! Könnte Beten helfen? Nein. Denn eine verhutzelte Gestalt bahnt sich einen Weg durch Gestrüpp und Blattwerk: ein als Kräuterweiblein verkleideter Sammelkonkurrent. Fast hat man nur Augen für sein albernes Kopftuch, während der nadelbeklebte Mann eidesstattlich versichert, noch vor wenigen Augenblicken einen Bekannten, der eindeutig zu Fuß gekommen war, per Rad davoneilen gesehen zu haben. Fließend hochdeutsch buchstabiert er Name und Hausnummer.

Man glaubt es nicht. Und doch nimmt man seine Hufe in die Hand und hastet der Stadt zu. Beim Gerenne ruckelt es die kräftig duftenden Bärlauche oder Bärläuche gehörig durch. Am Ende sind sie Bärleichen oder Bärlauchleichen oder wie man da sagt, überlegt man. Zwischendurch entert man die zuständige Polizeiinspektion und beantragt weinend ein Flächenbombardement der Straße Soundso laut Genfer Fahrraddieb-Konvention. Man wundert sich, dass die trägen Beamten zunächst den freundlichen Rat erteilen, man möge den Dieb selbst stellen. Also spurtet man atemlos weiter, der vom Kräuterwicht angegebenen Adresse zu.

Man glaubt es immer noch nicht: Die Straße gibt es tatsächlich. Die Hausnummer stimmt. Und am Klingelschildchen prangt ein Name, der bis auf acht Stellen hinterm Komma mit dem übereinstimmt, der vorhin genannt wurde.

Messer raus und die Sau zügig abstechen! Halt, falsch: klingeln zunächst. Türe öffnen lassen. Sonnengesicht aufsetzen. Höflichste Worte beim Darlegen des Problems. Und? Der freche Verbrecher bestätigt den Vorgang, nicht die Spur verlegen. Er habe das Rad im Moos liegen sehen und gedacht, ehe es ein anderer nimmt, der Blödmann mit dem Kopftuch beispielsweise.

Ob man es denn wiederhaben wolle?

Über der Verblüffung vergisst man um ein Haar, energisch genug zu bejahen. Los, her damit, du frecher Verbrecher! Aber, schnüff, die tränenreiche Wiedersehensfreude mit dem Rad verhindert den eben noch geplanten Racheakt. Eine weitere Abmilderung erfährt man daheim bei feiner Bärlauchmatschsuppe und schreibt stattdessen gleich eine Kolumne darüber.