: Das Gästebuch des Galeristen
Mache eine widersprüchliche Show, heirate einen Kurator: Mit Hilfe einer Wahrsagerin und mit Karl Marx verhandeln Anetta Mona Chișa und Lucia Tkáčová Karrieremuster im Kunstbetrieb und betreiben ihre Spielart von Kunstpiraterie
Manchmal gibt es Kunstwerke, die mit einer Nonchalance daherkommen, die glücklich macht. Den Gemeinschaftsarbeiten von Anetta Mona Chișa aus Prag und Lucia Tkáčová aus Bratislava, die derzeit im Neuen Berliner Kunstverein zu sehen sind, gelingt genau dies. Bereits seit 2000 verpacken die Künstlerinnen ihre politischen Statements in bester Manier auf eine ironisch subtile Art gemeinsam, verfolgen aber auch weiterhin Einzelkarrieren.
„Private Collection“ nennen sie eine in den Boden des Neuen Berliner Kunstvereins eingelassene Glasvitrine, in der banale Alltagsgegenstände wie altertümliche Schätze in einem Museum ausgelegt sind. Dahinter verbirgt sich ein heiterer Piraterieangriff der Künstlerinnen auf prestigeträchtige Galerien. Seit 2005 lassen Chișa und Tkáčová kleine Objekte – wie ein Stück Seil, einen Türstopper, eine Fernbedienung und ein Handtuch – aus den angesagtesten westlichen Galerien mitgehen, um sie dann als ihre Sammlung zu präsentieren. Auf einmal erscheint so der elektrische Schraubenzieher von Nettie Horn London, der Locher der Galerie Thaddaeus Ropac Paris oder das Gästebuch der Galerie Michael Janssen Berlin in einem ganz neuen Licht.
„Private Collection“ blickt mit einem sanften Zynismus auf die Machtbeziehungen im Hintergrund der zeitgenössischen Kunstwelt und nimmt nebenbei noch den altersschwachen Gestus der Duchamp’schen Readymades ein wenig auf die Schippe. Wenn Chișa und Tkáčová mit ihrer Sammlung die Orthodoxie der kapitalistischen Kunstmaschine zu durchbrechen suchen, deuten sie zugleich auf die Illusion eines solchen Vorhabens hin. Schlussendlich geben sie einen klaren Kommentar über jenen Mechanismus ab, der denen, die aus einem unterprivilegierten Kontext stammen, oft nur durch die Hintertür oder durch Rückgriff auf illegale Methoden Zugang zum System verschafft.
„How to Make a Revolution“ (2007) mokiert sich über einen ähnlich taktisch motivierten Weg. In roten aufgesprühten Lettern wird der Masterplan einer osteuropäischen Künstlerin, die es in der westlichen Kunstwelt zu etwas bringen möchte, vorgestellt. „Mache eine widersprüchliche Show, nimm an einer Residenz teil, heirate einen Kurator, etc.“, lautet die lakonische Aufzählung der möglichen strategischen Schachzüge.
Ein anderes ihrer Themen ist die Beurteilung der geografischen Herkunft. Genau genommen wäre ihr Ausschluss sogar gleich doppelt besiegelt. Die zwei sind schließlich nicht nur Osteuropäerinnen, sondern auch Frauen. Anstatt sich aber in die Opferrolle zu begeben, sehen wir sie lässig im Bett liegen und über den Sex-Appeal von Politikern tratschen. Mit Witz und Gekicher werden die Führer der Welt einer nach dem anderen einem kompromisslosen Urteil ausgesetzt. Da zählen nicht politische und moralische Qualitäten, sondern einzig das Kriterium der physischen Attraktivität.
In ihrem Video „Capital: Magical Recipes for Love, Happiness and Health“ (2006) sitzen die beiden mit einer Wahrsagerin am Tisch und stellen Fragen wie „Werde ich einen reichen Mann heiraten?“ oder „Wie lange werde ich Kunst machen?“. Um zu antworten, öffnet die Wahrsagerin nach dem Zufallsprinzip eine Seite im Karl Marx’schen Wälzer „Das Kapital“ und beschwört ihre praktischen Ratschläge basierend auf dem veralteten Traktat.
Die Arbeit erscheint als eine hervorragende Metapher für den Kampf zwischen Vergangenheit und Zukunft. Sie zeugt vom zynischen Realismus zweier Künstlerinnen, die in Bezug auf die postkommunistische Welt, in der sie leben, vor allem die Brechungen und Diskontinuitäten abstecken und danach fragen, welche Erfahrungsräume im derzeitigen Stadium des Übergangs noch bleiben. Mit der ihnen eigenen Leichtigkeit wird die Inkompatibilität zwischen dem ernsthaften Ton des Buchs und den verblüffenden Prophezeiungen der Wahrsagerin behandelt.
JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
Anetta Mona Chișa/Lucia Tkáčová, Neuer Berliner Kunstverein, Chausseestraße 128/129, bis 15. Februar, Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–20 Uhr
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