Stolz, ein Patriot zu sein

Viele der jungen Männer waren vor der Krise politisch aktiv.Aber ihnen fehlte eine gesellschaftliche Perspektive

AUS ABIDJAN HAKEEM JIMO

Eugène Djué hat dieser Tage viel zu tun. Er fährt in Abidjan von Stadtviertel zu Stadtviertel. Je nachdem, wo es gerade brennt. Und da, wo es noch nicht brennt – unterstellen ihm seine Widersacher –, wird es schon noch brennen. Eugène Djué führt eine der paramilitärischen Jugendorganisationen der Elfenbeinküste an, die sich selbst als „Patrioten“ bezeichnen, in Berichten von Menschenrechtsgruppen und UNO aber als „Schlägertrupps“, „ethnische Milizen“ oder „Todesschwadronen“ auftauchen.

Zwei seiner Milizionäre begleiten Djué heute auf seinem Streifzug durch Abidjan. Es sind junge, athletische Typen Mitte 20: die Augen hinter dunklen Sonnenbrillen versteckt, in der rechten Hand jeweils eine Maschinenpistole. Sie gehören weder zur Armee noch zur Gendarmerie oder Polizei. Doch Armee, Gendarmerie oder Polizei kämen gar nicht auf die Idee, sie zu behelligen, wenn sich diese Wehrsportler ungeniert mit ihrer Kalaschnikow neben dem Auto ihres Chefs mitten in Adjamé aufbauen, einem der lebhaftesten Viertel von Abidjan.

Der Auftrag der „Patrioten“ ist klar. Sie sollen im von der Gbagbo-Regierung gehaltenen Südteil der Elfenbeinküste heimliche, offenkundige oder mutmaßliche Unterstützer der Rebellion aus dem Norden des Landes ausfindig machen, sie in Angst und Schrecken versetzen und nicht selten für immer zum Schweigen bringen.

Zuerst, direkt nach Beginn des Bürgerkrieges im September 2002, schikanierten die Milizen westafrikanische Gastarbeiter. Dann, nach dem in Frankreich ausgehandelten Friedensabkommen vom Januar 2003, waren die in Elfenbeinküste lebenden Franzosen an der Reihe. Später, nach der Bildung der im Abkommen vereinbarten Allparteienregierung im April 2003, die ivorische Opposition. Milizionäre prügelten sogar auf Richter ein, die von einer oppositionellen Justizministerin eingesetzt worden waren.

Und dann kam der 25. März 2004. Diplomaten schätzen, dass bei der Niederschlagung einer Friedensdemonstration und in den Tagen danach rund 200 unbewaffnete Zivilisten getötet wurden. Sogar der Innenminister macht dafür „parallele Kräfte“ verantwortlich (siehe links).

Jetzt geht wieder die Angst um in Abidjan. „Wir haben in unserem Viertel Nachtpatrouillen organisiert, um uns vor den Attacken der Milizen zu schützen. Oft kommen sie in Begleitung von Soldaten oder Gendarmen. Sie sind nur dazu da, uns zu terrorisieren“, sagt Oumar Traoré, ein Bewohner von Abobo, einem der ärmeren Viertel der Metropole, in denen die nordivorische Rebellion viele Sympathisanten hat. „Wir wissen natürlich, wer diese Milizen sind. Teilweise kommen sie ja aus unseren Vierteln.“

Die beiden Leibwächter in Adjamé haben ihre Maschinengewehre auf das Autodach gelegt. Geduldig warten sie auf ihren Chef. „Wir brauchen diese Waffen, um für Ruhe und Ordnung zu sorgen“, sagt Djué. Mit seinem Bauch und dem traditionellen Gewand wirkt der Enddreißiger wie ein behäbiger Funktionär. Ein Sicherheitsproblem streitet Djué ab: Menschenrechtsverletzungen kämen vor allem bei den Rebellen vor.

Politisch wollen die „Patrioten“, dass „Nichtivorer“ keinen Einfluss mehr in der Elfenbeinküste haben. Also nicht die Staatsbürgerschaft erhalten, gewählt werden können, Land besitzen dürfen. Immer mehr von ihnen sehen sich jedoch auch als reine Gefolgsleute des Präsidenten Laurent Gbagbo.

Rund ein halbes Dutzend dieser Milizen gibt es in der Elfenbeinküste. Ihr „harter Kern“ wird auf 4.000 bis 5.000 Kämpfer geschätzt. Wohl nicht zuletzt um sie zu bezahlen erhöhte der Präsident kürzlich das Budget für sich selbst um über die Hälfte, während zahlreiche Ministerien aufgrund von Geldmangel faktisch funktionsuntüchtig sind. Dazu kommen Tausende Jugendliche, die jeweils für einzelne Aktionen angeheuert werden, eine rudimentäre Ausbildung erhalten und Geld bekommen. Und als Verbündete der Milizen gibt es in der Armee einige tausend neu rekrutierte Soldaten aus der Bété-Volksgruppe des Präsidenten Gbagbo. Sie gelten als kompromisslos gegenüber anderen Ethnien, entgegen dem früher gesamtnationalen Geist der Armee.

UN-Berichte benennen detailliert die Verwicklung des ivorischen Präsidenten Laurent Gbagbo und seiner Frau Simone in die Machenschaften der Milizen. Kann Präsident Gbagbo, der das „Ministerium der Straße“ geschaffen hat, wie die Milizen im Volksmund heißen, diese Leute weiter kontrollieren?

Die „Patrioten“ sind keine einheitliche Gruppe. Ihre Anführer entstammen oft einer Klasse von lange im Ausland lebenden Ivorern, die zum Zeitpunkt des Kriegsbeginns zumeist in Europa studierten. Djué, der „Patriot“, lebte lange Zeit in Paris. Erst kurz nach Beginn des Bürgerkrieges 2002 kam er in die Heimat zurück und gründete die „Union für die totale Befreiung der Elfenbeinküste“ (ULTCI). Inzwischen nennt er sich „Marschall“.

Die Führer anderer großer Milizen haben eine ähnliche Karriere hinter sich: Charles Blé Goudé lebte im englischen Manchester, Charles Groguhet in Essen. Sie sind in gewisser Weise ein Spiegelbild der jungen Führer der ivorischen Rebellen, die zum Beispiel in Hannover, Frankfurt oder New York saßen, bevor sie im Herbst 2002 als Rebellenführer zurückkamen.

Mit dieser internationalisierten Welt hat das Fußvolk der Milizen wenig zu tun. Die meisten jungen Männer, die sich an diesem Abend im Vorort Yopougon versammeln, sind noch nie aus Elfenbeinküste herausgekommen. Yopougon ist der größte Stadtteil Abidjans. Gleich zu Beginn von Gbagbos Amtszeit im Oktober 2000 machte er Schlagzeilen, als ein Massengrab mit 57 hingerichteten Oppositionellen gefunden wurde. Fast jeden Abend treffen sich die „Patrioten“ unweit eines Polizeireviers in Yopougon, auf einem kleinen Platz umringt von Imbissständen. Sie zu finden ist nicht schwer. Aber Anwohner raten lieber zur Formulierung: Wo diskutieren die Jugendlichen? Und nicht: Wo sind die „Jungen Patrioten“?

Dabei ist es dasselbe. Zwei Dutzend junge Männer stehen im Kreis und reden über die Lage im Land. Jeder hat das Recht, das Wort zu ergreifen und nicht unterbrochen zu werden. Dafür sorgt der Moderator. Es gibt keine einschüchternden Rädelsführer oder Einpeitscher. Ein paar Straßen weiter soll es sogar ein „Parlament“ für den gesamten Stadtteil geben. Trotz dieser Basisdemokratie gibt es in der Gesprächsrunde keine Kontroversen. Ein typisches Phänomen in der gespaltenen ivorischen Gesellschaft: Gesinnungsgenossen bleiben unter sich. Es wird in Blöcken gedacht, die Welt wird in Freunde und Feinde aufgeteilt.

Für die jungen Männer ist der Grund des Übels in der Elfenbeinküste schnell ausgemacht: die französische Afrikapolitik. Ihrer Meinung nach ist Frankreich der Drahtzieher der Rebellion, weil Präsident Laurent Gbagbo erstmals in der Geschichte des Landes eine ernsthafte Dekolonialisierung verfolgt hat: gegen den wirtschaftlichen und politischen Einfluss der Franzosen, für die die Elfenbeinküste nach der Unabhängigkeit 1960 jahrzehntelang die wichtigste Basis in Afrika war. Dabei zählt es für die diskutierenden jungen Männer nicht, dass es französische Eingreiftruppen waren, die im Herbst 2002 letzlich den Vormarsch der Rebellen auf Abidjan gestoppt und damit Gbagbos Regierung gerettet haben. Ebenso sehen sie keinen Fehler in Gbagbos Entscheidung, die lukrative Bewirtschaftung des Containerhafens von Abidjan – einem der größten Westafrikas – einer französischen Firma zuzuschanzen. Für die jungen Männer besteht die Lösung aller Probleme des Landes im Abschütteln alles Fremden. Also auch der Franzosen. Und der UN-Blauhelme.

Dazu wird es vorerst nicht kommen. Die UNO-Friedensmission, auf 6.500 Soldaten angesetzt, beginnt gerade erst. Aber ihr Erfolg wird vom Schicksal dieser radikalisierten Jugendorganisationen abhängen. Und die haben schon eigene Erfolge erzielt: Viele der rund 16.000 Franzosen, die vor Kriegsbeginn in Abidjan lebten, sind ausgewandert, hunderttausende westafrikanische Immigranten wurden in die Flucht getrieben.

Die Milizen in der Elfenbeinküste sind ein neues Phänomen in Westafrika. Die oft über 20-Jährigen sind nicht zu vergleichen mit 12-jährigen Kindersoldaten wie in Liberia oder Sierra Leone. Viele der jungen Männer waren vor der Krise Schüler oder Studenten, hoch politisiert und in der Demokratiebewegung der Elfenbeinküste aktiv. Nur hatten sie weder eine wirtschaftliche Perspektive noch gesellschaftliche Anerkennung. In den Straßen von Abidjan – wie in allen großen Städten Westafrikas – verbringen Tausende Jugendliche ihre Tage mit Billardspielen und Tischfußball. In der Generation ihrer Eltern sieht es nicht besser aus. „Technische Arbeitslosigkeit“ heißt das. Mit dem Krieg ist die Elfenbeinküste, einst wirtschaftlich wichtigstes Land des frankophonen Afrika, in eine tiefe Wirtschaftskrise geraten; mit dem Exodus kaufkräftiger Franzosen finden lokal produzierte Waren kaum Absatz. Das hat Tausende weitere Einheimische in die „technische Arbeitslosigkeit“ getrieben.

In einer Miliz mitzumachen gibt vielen Jugendlichen erstmals eine Funktion, ein Gefühl von Macht – und nicht zuletzt auch Geld. Wer soll ihnen diese Privilegien wieder nehmen? Als Djué aus Adjamé abfährt, auf dem Weg zum nächsten Treffen, klemmen die beiden Jugendmilizionäre ihre Kalaschnikows zwischen Ledersitz und Tür. Im Wagen der „Union für die totale Befreiung der Elfenbeinküste“ ist ein Platz noch frei.