Saudi-Arabien steht unter Schock

Der jüngste Anschlag zielt auf den eigenen Staat. Das stößt in weiten Teilen der Gesellschaft auf Unverständnis

DSCHIDDAH taz ■ Der jüngste Anschlag in Saudi-Arabien, bei dem am Mittwoch vier Menschen ums Leben kamen und 148 Personen verletzt wurden, zeigt eine Wende in der Strategie der Terroristen. Ziel war ein Gebäude des Innenministeriums in der Hauptstadt Riad, die Opfer waren, mit Ausnahme eines syrischen Mädchens, Saudis. Zum ersten Mal trifft der Terror die saudische Gesellschaft direkt, und nicht Arbeitskräfte aus anderen arabischen Staaten oder/und „den großen Feind, die USA“.

Zu der Tat bekannten sich die saudischen Al-Haramain-Brigaden auf zwei Seiten im Internet. „Diese Operation, die euch Tyrannen den Rücken gebrochen hat, ist nur ein Vorgeschmack auf die vielen Schmerzen, die ihr, so Gott will, erleiden werdet“, heißt es in der Erklärung. Die Gruppe bezieht sich ausdrücklich auf die Ziele von al-Qaida und hatte sich bereits im Dezember zu einen Anschlag auf das Auto eines Sicherheitsbeamten bekannt.

Der Anschlag zeigt auch, dass ungeachtet von Festnahmen und Kontrollmaßnahmen der Regierung der Terrorismus im Lande weiter existiert. Die Meinungen gehen auseinander, ob al-Qaida seit dem Anschlag vom 12. Mai 2003 auf eine Siedlung, in der hauptsächlich Ausländer lebten, an Sympathien verloren hat. Experten glauben, dass sich weniger Personen finden, die zu Selbstmordanschlägen bereit sind. Andere wiederum verweisen darauf, dass nach Angaben der Polizei unter den im Rahmen einer Razzia im Januar in Mekka Festgenommenen die meisten zwischen 15 und 17 Jahren alt waren. Dies zeigt, dass die Bereitschaft zu terroristischen Aktionen in Saudi-Arabien nicht gesunken ist, und al-Qaida es immer wieder schafft, neue Kräfte zu rekrutieren.

„Die Explosion trägt die Handschrift von al-Qaida“, sagte ein Polizeisprecher gestern während einer Pressekonferenz. Vermutlich handelt es sich um denselben Personenkreis, der auch für frühere Attentate verantwortlich ist. Doch jetzt häufen sich die Fragen, weshalb Saudis von Saudis angegriffen werden. Denn diesmal war eindeutig der saudische Staat das Ziel. Während des Krieges der USA gegen das Taliban-Regime in Afghanistan hatten zahlreiche Saudis durchaus Sympathien für Ussama Bin Laden und waren bereit, Geld und Schmuck zu spenden. Doch nun scheint die rote Linie für viele Saudis überschritten zu sein. „Diese Terroristen schrecken vor gar nichts zurück“ ist eine Äußerung, die man nun hört. In den Augen weiter Teile der Bevölkerung haben die Terroristen mit dem Anschlag vom Mittwoch alle herrschenden Normen der saudischen Gesellschaft gebrochen. „Die sind verrückt, Saudis anzugreifen“, meint Ahmed M., ein 37-jähriger Staatsangestellter. „Wohin soll das alles führen?“

Im Gegensatz zu Anschlägen auf Einrichtungen der USA oder deren Bürger stoßen saudische Attentatsziele auf ein weitverbreitetes Unverständnis. Geht es um den Sturz des saudischen Königshauses? Das wäre ein Ziel, das nur von wenigen im Lande unterstützt wird. „Es existiert zur Zeit keine bessere Alternative, trotz aller Liberalisierungsbewegungen in letzter Zeit“, sagt ein 55-jähriger Arzt. Fest steht, dass die Terroristen mit dem Anschlag eventuelle Sympathien in Saudi-Arabien aufs Spiel gesetzt haben. Der Glaube an die Einheit von Staat und Volk wurde erschüttert. REEM YESSIN