Bombe? Verspätung!

Terroralarm lehrt: Der deutsche Bahnkunde fürchtet mehr um seinen Komfort als um seine Sicherheit. Ein Fallbericht

KÖLN taz ■ Die U-Bahnen fahren nicht mehr zum Hauptbahnhof – „wegen eines Polizeieinsatzes“, wie die Fahrer durchsagen. Darum hetzen am Dienstagnachmittag sehr viele Menschen im Laufschritt durch Kölns Einkaufszone, schließlich wollen sie die Nachmittagszüge erreichen. Es ist schwül, die Gesichter glänzen, und Hemdenrücken sind dunkel durchgeschwitzt.

Doch auch die Allereiligsten, die sich durch die Menschenknäuel auf der Domplatte drängeln, landen schließlich vor einem rot-weißen Polizeiabsperrband. Niemand kommt zum Bahnhof. Das war’s dann wohl mit den Nachmittagszügen. „Bombenalarm“, lassen sich Ungläubige immer wieder aufs Neue bestätigen.

Bombenalarm? Was heißt hier Bombenalarm? „Das waren doch ein paar Kinder mit Langeweile, die ein bisschen Terror machen wollen“, verkündet ein Mittfünfziger im Freizeitdress. Er habe sogar welche darüber reden hören! „Lächerlich! Lächerlich!“, bricht es neben ihm aus dem Anfangvierziger im lila Herrenblouson hervor. „Dass die da gleich den Bahnhof absperren! Was das wieder kostet!“ Ein Azubi sagt, er bekomme halt mehr Kilometergeld fürs Bahnfahren als fürs Autofahren, sonst würde er ja … „Und was glauben Sie, bei so Managern, da wo jede Stunde Tausende kostet!“ – „Aber der Bahn ist ja nicht zu helfen.“

Die Botschaft wird verbreitet, dass die Sperrung noch zwei, drei Stunden dauern kann. Ausländische Touristen und Senioren-Trüppchen treten unbeholfen den Rückweg an. Wer ein Handy hat, benachrichtigt Leute. Die Bäckereien verkaufen nichts mehr außer oller Vanillemilch.

„Sie können ja über die Rheinbrücke laufen nach Köln-Deutz“, schlägt ein zur Volksberuhigung ausgesandter Bahnmensch mit kölschem Schnäuzer vor. „In Deutz stehen die Züge auch!“, ruft jemand dazwischen und weiß: Ob in Deutz, Wuppertal oder Bonn, nichts fährt mehr. „Warum setzt die Bahn keine Busse ein“, ruft eine ältere Dame, „statt uns hier braten zu lassen!“ Auch sie fühlt sich erkennbar nicht vom Terror bedroht. Überhaupt fühlt sich hier niemand von etwas anderem bedroht als der Aussicht, zu spät nach Hause zu kommen. Nur die Bahn vermasselt wieder einmal alles.

Irgendwann gellt ein erlöster Jubelschrei über die Domplatte. Die Menge quillt hinab zum Bahnhof. Vergeblich bittet eine Durchsage um Gelassenheit. Die Menschenmauern auf den Bahnsteigen künden: Wehe, der Zug fährt ohne mich! Viel, viel später im ICE verhandeln die Reisenden mit den Schaffnern um Trostgutscheine. Zu spät ist zu spät, finden die Kunden, gleich ob Bombe, Bahnerpressung oder Schlamperei. Dann beginnt am Vierertisch ein eifriges Gespräch über das verheißene Ende der Bahnpreisreform.

ULRIKE WINKELMANN