Wandern wird belohnt

Die Wirtschaft will statt Ausbildungsumlage jetzt Mobilitätshilfen. Der Osten weiß, was daran der Haken ist

DRESDEN taz ■ Jan Czornack aus dem sächsischen Räckelwitz gehört nicht nur zur kleinen Minderheit der slawischen Sorben, sondern auch zur Minderheit ostdeutscher Azubi-Rückkehrer. Nach drei Jahren Ausbildung an einer schwäbischen Autobahnraststätte war das Heimweh doch stärker als die Verlockung eines sicheren Arbeitsplatzes im Westen. Was er dankend annahm, war Ende der Neunzigerjahre die so genannte Mobilitätshilfe für Jugendliche, die keinen Ausbildungsplatz in Wohnortnähe finden. In seinem Ausnahmefall erwies sie sich einmal nicht als die „Wegzugsprämie“.

Geld fürs Umziehen – was der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) jetzt in seinem „Pakt für Ausbildung“ als Alternative zur Ausbildungsplatzabgabe vorschlägt, ist also ein alter Hut. Dieser Hut soll nun durch „verbesserte“ Zahlungen noch ausgeweitet werden und soll vor allem die Arbeitgeber nichts kosten. Denn das so genannte Azubi-Bafög soll wie selbstverständlich vom Staat, also durch die Bundesagentur für Arbeit bezahlt werden.

„Damit wird die herrschende Subventionsmentalität noch weiter verstärkt“, kritisiert deshalb Marcus Schlimbach, Sprecher des DGB in Sachsen. „Wenn die Kammern wenigstens vorgeschlagen hätten, die Hilfen ihrerseits zu zahlen …“ Ohnehin fallen in Ostdeutschland die Ausbildungskosten zu 70 Prozent dem Staat zur Last, weil die betriebliche Struktur zu schwach ist.

Die Vorschläge der Arbeitgeber zur Lösung des Lehrstellenproblems kamen zufällig an dem selben Mittwoch, an dem in Dresden ein „Demographie-Gipfel“ die dramatischen Folgen von Abwanderung und Alterung für den Osten beschrieb. Vom Lehrstellenrückgang ist zwar auch Westdeutschland prozentual annähernd gleich betroffen. Eine erweiterte „Wegzugsprämie“ aber wirkt sich vorwiegend auf die ostdeutschen Regionen aus. DGB-Sprecher Schlimbach hält sie deshalb schlicht für „kontraproduktiv“.

Die letzte sächsische Wanderungsanalyse aus dem Jahr 2002 besagt, dass mehr als die Hälfte der Fortgezogenen unter 30 Jahre alt waren. Auszubildende stellen ein Viertel der „Heimatflüchtlinge“. Von diesen wiederum finden rund zwei Drittel am neuen Wohnort eine Arbeit, weitere 30 Prozent setzen ihre Ausbildung fort. Besonders fatal an diesen Zahlen ist, dass überwiegend junge Frauen fortziehen. Mobilitätshilfen tragen zur Verschärfung regionaler Unterschiede bei. Wo schon viel ist, kommt noch mehr hinzu. In der Summe werden so auch nicht mehr Ausbildungsplätze geschaffen.

Die immer wieder beschworene heile Welt von „Wanderschaftsjahren“, nach denen man ins Mutter- oder Vaterhaus zurückkehrt, ist längst eine Illusion. Um rührende Versuche, Jugendliche nach der Ausbildung wieder zum Aufbau an der Heimatfront zu bewegen, ist es bald still geworden. Mecklenburg-Vorpommern richtete zuerst eine „Rückkehreragentur“ ein, der DGB in Sachsen folgte mit dem Projekt „Go Sax“ zunächst der Idee. Das Dresdner Wirtschaftsministerium versuchte bis heute, über eine Art Heimatseite im Internet Kontakt zu halten. Aufsehen erregte in Sachsen-Anhalt jetzt eine Umfrage an einem Gymnasium in Salzwedel, wonach 90 Prozent der Schüler das Land verlassen wollen.

Nach Angaben des sächsischen Landesarbeitsamtes steigen zwar die gesetzlichen Bewerbungs- und Mobilitätshilfen weiter leicht an. Die hohen Summen der freien Förderung, die im Ermessen der jeweiligen Agentur liegen und eben als Wegzugsprämie Aufsehen erregten, sind dagegen stark rückläufig, sagte Sprecher Claus Welz. Das Jugendsofortprogramm der Bundesregierung ist im Vorjahr ausgelaufen. MICHAEL BARTSCH