Last exit: Ausbildungsplatz

Bürokratisch heißt sie „Jugendberufshilfe“, im Alltag vieler Jugendlicher ist sie eine letzte Chance auf soziale Integration. Vier Gesichter zu einem Projekt, das bald vom Sparkurs bedroht sein könnte

von SUSANNE LANG

Sozialgesetzbuch, Kinder- und Jugendhilfe, §13 Jugendsozialarbeit

(1) Jungen Menschen, die zum Ausgleich sozialer Benachteiligungen oder zur Überwindung individueller Beeinträchtigungen in erhöhtem Maße auf Unterstützung angewiesen sind, sollen im Rahmen der Jugendhilfe sozialpädagogische Hilfen angeboten werden, die ihre schulische und berufliche Ausbildung, Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration fördern.

Candy Kölpin, 21 Jahre, seit 20 Jahren in Berlin

11 Uhr 30: Marzahn macht Mittagspause. Candy stöhnt, verdreht die Augen, grinst aber. „Auf ins Restaurant“, sagt sie, gespielt genervt. Mittagspause heißt für sie Arbeitszeit, 11 Uhr 30 beginnt in ihrem Ausbildungsrestaurant der Mittagstisch. „Eigentlich wollte ich wirklich nie ins Gastgewerbe“, sagt sie und grinst wieder. Eigentlich grinst Candy dafür aber ziemlich oft und plappert munter über die anstehende praktische Prüfung zur Restaurantfachfrau. Eigentlich ist sie glücklich, dass sie vor drei Jahren die Chance erhielt, beim freien Träger „Kids & Co.“ eine Ausbildung zur Hotelfachfrau zu machen. „Wo ich heute sonst wäre?“, überlegt Candy und macht eine Pause. „Darüber möchte ich gar nicht nachdenken.“

Wo sie vor drei Jahren war, lässt sich leichter erzählen. Schulabschluss mit Ach und Krach, Sozialhilfe, irgendwann erste berufsvorbereitende Kurse. Über einen Zufall rutschte die „sozial Benachteiligte“, wie das Gesetz ihren Fall umschreibt, in das Ausbildungsangebot der Jugendberufshilfe. Heute hat sie ein richtiges Stellenangebot, diesmal selbst erarbeitet.

Andreas Buchner*, 18 Jahre, seit 18 Jahren Berlin

11 Uhr 30: Im Wedding laufen erste Schaltkreise zusammen. Montage, das Licht geht an. Mit ihm leuchtet das sonst ernste, blasse Gesicht von Andreas sogar ein klein wenig mit. „Es ist ja nur zum Üben“, nuschelt er. Ein Erfolg ist es für den Azubi im ersten Lehrjahr trotzdem. Elektroinstallateur heißt nun sein Ziel, seit einem halben Jahr macht er die Ausbildung dazu in der „Werkschule“ in der Osloer Straße.

Bis vor kurzem ging es Andreas vor allem darum, Schaltkreise zu unterbrechen, um in Büroräume und Läden einzusteigen. Diebstähle, Drogenprobleme, mehrfach straffällig, zwei Jahre Bewährung.

Nach einem Projektjahr auf einem Bauernhof in Spanien ist für Andreas klar: „Arbeit lenkt ab.“ Seit er arbeitet, haben die Einbrüche aufgehört. „Hätte ich die Ausbildung nicht bekommen, wäre es schlimmer geworden“, meint Andreas. Was die Zukunft für ihn bringt, darüber denkt er nicht viel nach. Für jetzt weiß er nur: „Es darf nicht wieder anfangen.“

(2) Soweit die Ausbildung dieser jungen Menschen nicht durch Maßnahmen und Programme anderer Träger und Organisationen sichergestellt wird, können geeignete sozialpädagogisch begleitete Ausbildungs- und Beschäftigungsmaßnahmen angeboten werden, die den Fähigkeiten und dem Entwicklungsstand dieser jungen Menschen Rechnung tragen.

Jan Pepekorn, 23 Jahre, seit 19 Jahren in Berlin

11 Uhr 30: In Kreuzberg wartet eine Schrankwand auf Lack. Jan streicht über das weiß grundierte Holz. Es ist seine Schrankwand, selbstgemacht. Darauf ist er stolz. „Tischlern ist toll“, sagt er, „man schafft etwas, das auch nach 50 Jahren noch da ist.“ Schaffen, kreativ sein – dafür kann sich Jan motivieren.

„Keine Lust“ – so einfach kann sich Jan demotivieren. Jans Erklärung dafür, dass er einen miesen Schulabschluss gemacht hat, dass er sich mit Drogen erst mal „pushen“ musste, um überhaupt in die Schule oder zur Arbeit zu gehen. Sein erster Ausbildungsplatz in einer Tischlerei war nach zwei Monaten gekündigt: keine Lust auf die Berufsschule.

In der „Arbeitsgemeinschaft Bethanienstraße e.V.“ hat er bereits zwei Jahre geschafft. „Hier kann ich offen über meine Probleme reden, die Leute haben Verständnis.“ Wenn er etwa anfangs öfters ausfiel, weil der Kreislauf morgens nicht auf Touren kam. Völlig clean ist er zwar nicht, „Drogenverschiebung“, sagt Jan und lacht. Aber die Ausbildung will er durchziehen. „Man kann ja nicht immer so leben, wie ich es getan habe“, schiebt er leise nach.

Paolo M.*, 29 Jahre, seit 13 Jahren in Berlin

17 Uhr 30: Berlin-Mitte versucht einzuschlafen. Paolo schaukelt den Kinderwagen vor und zurück. Sein Arbeitstag als Hausmeister in einem Einkaufszentrum ist zu Ende, der Tag als Vater beginnt. Sohn Pascal, zehn Monate, will trotzdem nicht schlafen. Zu heiß. Paolo brummelt, schaukelt weiter. Familienalltag, wie ihn sich das ehemalige Flüchtlingskind aus Angola vor 13 Jahren, als es nach Deutschland kam, erträumt hat. Heute ist er real und Paolo das, was das Gesetz „in die Arbeitswelt eingegliedert und sozial integriert“ nennt.

Seine Integration ins Berufsleben begann mit der Ausbildung zum Elektroinstallateur in der „Werkschule“. „Für mich war es eine große Chance“, sagt Paolo, „nicht nur wegen der guten Ausbildung, sondern wegen der guten Betreuer, die mir bei all den anderen Problemen geholfen haben.“ Die befristete Aufenthaltserlaubnis etwa, die eine Anstellung erschwert hat. Dass es Angebote wie die Werkschule aus Sparzwängen nicht mehr geben könnte, will sich Paolo gar nicht erst vorstellen. „Leute, die sich hier eine Existenz aufbauen wollen, müssen die Chance dazu bekommen“, betont er.

* Namen geändert