philipp maußhardt über Klatsch
: Wo der Kunde Bettler ist

„Fabrikverkauf“ ist erst richtig schön, wenn die Verkäuferinnen ruppig sind und es ordentlich nach Schweiß stinkt

Obwohl „Fabrikverkauf“ bekanntlich zu den hässlichsten Wörtern zählt, die die deutsche Sprache zu bieten hat (neben Kratzbürste oder Trockenausbau) löst dieser Schriftzug vor einem heruntergekommenen Backsteingebäude ganz im Gegensatz zu seinem grausigen Klang bei vielen Menschen ein reines Glücksgefühl aus. Ein Versprechen nach Erfüllung und Erlösung schwingen in diesen dreizehn Buchstaben mit.

Die Heimat des „Fabrikverkaufs“ liegt mit ziemlicher Sicherheit im Schwabenlande, wo jeder Hosenträger- und Strumpfmiederfabrikant durch große Schilder am Ortseingang eben auf seinen „Fabrikverkauf“ hinweist. Doch ist das Prinzip inzwischen längst weltweit als „Outlet“ bekannt und eingeführt.

Unumstrittene Nummer eins als deutsche Outlet-Hauptstadt ist das Städtchen Metzingen (Württemberg), über das der Dichter Robert Gernhardt einmal dichtete: „Dich will ich loben: Hässliches, du hast so was Verlässliches.“ Also hier in dieser hässlichen Häuseransammlung treffen sich jeden Samstag die Mercedes- und Porschefahrer aus Essen, Kaiserslautern und München. Und weil es immer mehr wurden, hat die Stadt vor einiger Zeit am Stadtrand einen riesigen Parkplatz eingerichtet, von dem man die jede Woche einfallenden Fabrikkäufler mit Bussen zu Hugo Boss, zu Escada, zu Handschuh-Reusch oder zu einer der anderen 50 „Fabrikverkaufsstellen“ karrt.

Manchmal, wenn mich wieder einmal das Gefühl beschleicht, im Leben zu kurz gekommen zu sein, fahre ich die paar Kilometer hinüber nach Metzingen und schaue mir an, wie gestandene und im Leben erfolgreiche Männer in Socken und Unterhosen sich um einen Sakko zanken, von dem jeder behauptet, er habe ihn zuerst in der Hand gehabt. Ja, regelrechten Schlachtszenen unter feinen Herrschaften kann man hier beiwohnen, die sich rund um die Kleiderstangen von Hugo Boss abspielen. „Das gehört mir!“ „Finger weg!“ „Diese Umkleidekabine habe ich reserviert!“ Ekelhaft. Nein, so will ich dann doch nicht werden. Zufrieden fahre ich wieder nach Hause.

Um der Kundschaft das richtige „Schnäppchen-Gefühl“ zu vermitteln, müssen die Bedingungen des „Fabrikverkaufs“ von Marketingstrategen vorher genau bedacht werden. Die Außenansicht darf nicht zu protzig sein. Besser etwas abgeblätterter Putz. Industriegebiet ist besser als Innenstadtlage. Die Verkäuferinnen sollten ruppig bis abweisend wirken. Niemals Teppichboden! Roher Zementfußboden, und es sollte stinken nach Schweiß, nach abgehangenem Stoff und nach billigem Putzmittel.

Insofern hatten die Planer des Prada-Fabrikverkaufs im toskanischen Industriestädtchen Montevarchi fast alles richtig gemacht. Und tatsächlich: Seit die italienische Edelmarke dort in einem scheußlichen Zementplattenbau ihre Handtäschchen, T-Shirtchen und Sandälchen feilbietet, boomt Montevarchi als Touristenmagnet. Unglücklicherweise geriet ich über Pfingsten in eine Reisegruppe, auf deren Programm auch der Besuch von Prada stand.

Dass man in italienischen Supermärkten vor der Wursttheke eine Nummer zieht und erst nach Aufruf dieser Nummer bedient wird, war mir bekannt. Neu war, dass auch der Prada-Kunde mit seinem Nümmerchen in der Hand Schlange stehen muss, bevor er überhaupt das Gebäude betreten darf. „Un’ ora“ – eine Stunde würde es ungefähr dauern, sagte der Uniformierte mit Waffe am Gürtel, der über den Eingang wachte. In der ebenfalls zu Prada gehörenden Bar an der anderen Ecke des Bunkers leuchteten die Einlassziffern digital auf. 298, 299, 300.

Ich hatte 332. Nach einer knappen Stunde war ich wirklich dran. 332! Im selben Moment kam allerdings mein vierter Cappuccino und ich trank ihn etwas hastig – aber nicht hastig genug. Denn als ich fünf Minuten später mit meinem Nümmerchen winkend vor dem Bewaffneten stand, machte er mit der Hand eine Bewegung, als wolle er eine Fliege verscheuchen. „Troppo tardo, too late“, sagte er und schaute mit seiner Sonnenbrille über mich hinweg. Zu spät. Ich war zu spät. Wegen dieses verdammten Cappuccinos hatte ich mich um wenige Minuten verspätet und durfte nun nicht mehr hinein. Dort, wo das Glück winkte. Die Schnäppchen lagerten. Und das Heil. Heil dir Prada, Heil dir Boss. Habt Erbarmen mit mir, lasst mich nicht vor euren Türen stehen, nehmt mich auf in eure Tempel. Ich will euch mein Geld opfern, ihr sollt alles haben. Alles! Es nutzte nichts.

Gestern habe ich mir nach meiner Rückkehr bei Aldi-Süd eine blaue Badehose für 2,99 Euro gekauft. Aber ein Glücksgefühl kam dabei nicht auf.

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