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Mit Idealen gegen die Atomwirtschaft

Buchtipp: Der Erfolg der Schönauer „Stromrebellen“ – wissenschaftlich analysiert

Sie hatten grüne Ideale, aber keine grünen Ideologien. Das war das Erfolgsgeheimnis der „Stromrebellen“ von Schönau, die in den 90er-Jahren ihrem damaligen Ortsmonopolisten KWR das städtische Stromnetz streitig machten, um fortan ein eigenes, ökologisch orientiertes E-Werk zu führen.

Akribisch zusammengefasst hat die Schönauer Ereignisse der Jahre 1990 bis 1996 jetzt der Politikwissenschaftler Patrick Graichen. In seinem Buch, das auf einer Dissertation an der Universität Heidelberg aufbaut, analysiert er, wie es dem kleinen Schwarzwalddorf gelingen konnte, den wohl größten Sieg der deutschen Ökostromgeschichte zu erringen – während sich andernorts lokale Ökoinitiativen an konservativen Gemeinderäten die Zähne ausbeißen.

Und es war tatsächlich eine besondere Schönauer Werte-Konstellation, die Graichen als „altliberal-wertkonservativ-ökologisch“ beschreibt. Er findet „ökologisch-postmaterialistisches“ Denken, das „a priori weder links noch rechts einzustufen“ sei, idealtypisch verkörpert durch den Vordenker, den „als charismatische Führungspersönlichkeit beschriebenen Landarzt und Stadtrat“ Michael Sladek. Diese Abkehr vom klassischen Denken in politischen Rechts-links-Kategorien ist es offenkundig, die selbst in einem traditionell schwarz wählenden Dorf in Baden-Württemberg plötzlich Mehrheiten für grüne Ideen ermöglicht. Immerhin mussten bis zum eigenen E-Werk in Schönau zwei Bürgerentscheide erfolgreich gemeistert werden.

Den notwendigen Rückhalt in der dörflichen Bevölkerung konnte die Schönauer Energieinitiative erlangen, weil sie ihre ökologischen Anliegen nie alleine präsentierten, sondern „mit der weit verbreiteten Forderung nach stärkerer lokaler Selbstbestimmung und einer Förderung bürgerschaftlichen Engagements verknüpften“. Und nicht zu vernachlässigen: „Die Mitarbeit in den Energieinitiativen war die einzige Möglichkeit in Schönau, sich jenseits der traditionellen Vereinsstrukturen (wie Sportverein, Musikverein, Freiwillige Feuerwehr) zu organisieren.“

Auch diesen sozialen Faktor haben die „Stromrebellen“ voll zu nutzen gewusst – und somit, wie Graichen mit großem Respekt einräumt, „alles richtig gemacht“. Es ist ein Buch, dass seine wissenschaftliche Herkunft weder verleugnen will noch verleugnen kann.

Wer aber mit dem wissenschaftlichen Duktus leben kann und nicht gerade die Schönauer Geschichte als kurzweilige Lese-Story aufbereitet sucht, wird von dem Buch nicht enttäuscht sein: Graichen hat eine profunde Chronologie geschaffen, der vielfältige Analysen folgen – von Akteuren und Beziehungsgeflechten, von der Rolle der Unternehmen und der Medien vor Ort. Viel zu lernen gibt es daraus für jede lokale Umweltgruppe allemal. BERNWARD JANZING

Patrick Graichen: „Kommunale Energiepolitik und die Umweltbewegung. Eine Public-Choice-Analyse der ‚Stromrebellen‘ von Schönau“. Campus Verlag, Frankfurt/Main 2003, 321 S., 39,90 €, ISBN 3-593-37352-1

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