Damaszener Höflichkeiten

Streiflichter einer Begegnungsreise in Syrien, das kaum als Reiseland wahrgenommen wird. Auf dem Programm: die Vielfalt der Religionen und der Islam. Eine Reise von Damaskus nach Aleppo

VON EDITH KRESTA

Äpfel von der Sorte Fathi, Quitten, Chalani-Pfirsiche, Moschusäpfel, ein Strauß Jasmin. Lotosblumen aus Damaskus, kleine Herbstgürkchen, Zitronen der Sorte Marakibi und Sultani, Myrte, Basilikum, Kamillenblüten, Levkojen, ein Strauß Iris, Lilien, Anemonen, Veilchen und Ochsenaugen“ – auch heute noch wirkt das Angebot des Souks, der alten Stadt von Damaskus, überbordend wie in dieser Beschreibung aus Tausendundeiner Nacht. Wenn auch gewandelt. „Vor allem Unterwäsche kaufen die Damaszener im Souk“, weiß der Student Hamadi, der uns begleitet. Er zeigt auf eines der vielen Geschäfte, wo knallrote Tangas neben grünen Spitzenhöschen ins Auge stechen und der schnauzbärtige Verkäufer zwei kopftuchbedeckte Damen fachmännisch berät. Hier in der Altstadt hat Damaskus – einst mit seinen Flüssen und Gärten als paradiesisch besungen – seinen orientalischen Charme behalten. Ansonsten frisst sich die Stadt wie ein riesiger Moloch mit ihren fast zwei Millionen Einwohnern immer weiter in die karge Landschaft hinein. Der starke Wind der letzten Tage hat die Bäume mit Plastik behängt. Verkehrschaos, Zerfall und Umweltverschmutzung sind in Damaskus ebenso allgegenwärtig wie das Porträt des jungen Baschar al-Assad, dem das Präsidentenamt vom Vater nach dessen Tod vor vier Jahren quasi vererbt wurde. Mit dunkler Sonnenbrille, wie er hier mitten im Souk auf die Passanten herunterblickt, wirkt er besonders schnittig.

Der Märchenerzähler im Café Nachabis, in der Altstadt gleich bei der Omaijaden-Moschee, liest für das alte Damaskus. Touristen und ein paar einheimische Männer an der Wasserpfeife lauschen seinen theatralischen Ausführungen. Das Klopfen mit dem Stock auf das Lesepult kündigt auch des Arabischen Unkundigen den dramaturgischen Höhepunkt an. Wir, eine Gruppe des Münchner Reiseveranstalters Studiosus, goutieren die Folklore bei einem Glas starken schwarzen Tee. Unsere Reise führt nach Damaskus mit seiner weltberühmten Omaijaden-Moschee und Aleppo mit seinen Basaren. Auf dem Programm steht auch die Kreuzritterburg Krak des Chevaliers und das Kloster des Säulenheiligen Simeon.

Begleitet werden wir an diesem Abend von einigen Deutschschülern des Damaszener Goethe-Instituts. Sie testen ihre Deutschkenntnisse, wir nähern uns Land und Leuten. Denn wir sind auf einer „Eventreise: Die Welt des Islams – Begegnungen in Syrien.“

Beim Essen erzählt Hamadi, der syrische Student, von seinem Alltag in Damaskus, von den Träumen vieler Jugendlicher, möglichst schnell reich zu werden oder ins Ausland zu gehen, von ägyptischen Soap-Operas und ihrem immer gleichen biederen Familienchaos. Ob die Israelfeindlichkeit auch unter Jugendlichen groß sei, fragen wir ihn, ermuntert durch das offene Gesprächsklima: „Leider“, antwortet Hamadi, ohne die sonst üblichen Rechtfertigungen und Erklärungen nachzuschicken.

Die hat der Journalist und Schriftsteller Hassan Youssef reichlich auf Lager. Wir treffen ihn im Hotel Cham Palace, der besten internationalen Adresse in Damaskus. In langen Ausführungen tief in die Geschichte der Araber umschreibt er die Situation der Region und das gefährliche Spiel der Amerikaner. Auf die Frage, ob es denn inzwischen in Syrien Pressefreiheit gebe, antwortet er: „Ich bin innerlich frei.“ Die Pressefreiheit, die Baschar al-Assad nach seinem Regierungsantritt versprach, lässt auf sich warten.

Im islamischen Zentrum in einem Wohnviertel von Damaskus erwartet uns Dr. Mohammed Habasch mit anderen Gemeindemitgliedern, darunter ein Nachkomme der Familie des Propheten. Habasch vertritt Syrien offiziell in Sachen Islam. Er spricht von der Friedfertigkeit und der Toleranz des Islam, den Bezügen zum Christentum. Seine Ausführungen unterstreicht er mit den entsprechenden Suren des Korans, die er in schönstem Singsang rezitiert. Fragen der Reiseteilnehmer zum politischen Islam und zu den Terroranschlägen in Israel gehen irgendwann im Redefluss seiner Antwort unter.

Spannender als die Antworten ist bei unseren Begegnungen ohnehin das Ritual. Es steht im Zeichen orientalischer Höflichkeit und blumiger Umschreibung. Begrüßung und Danksagung sind wichtiger als der Rest der Gespräche. Auch wenn nicht unbedingt viel gesagt wird, erschließt sich über unsere Begegnungen syrische Wirklichkeit. Zumindest so, wie sie sein möchte. Nicht unbedingt, wie sie ist: Der Assad-Clan regiert das Land seit 34 Jahren in Form einer repressiven Erziehungsdiktatur. Öffentliche Hinrichtungen und Menschenrechtsverletzungen gehören genauso zum Repertoire wie der überall präsente Geheimdienst. Die offene Rede hat hier keine Tradition.

Tradition haben Geschichte und Geschichten aus kultureller Hochzeit, auf die sich die Syrer so gerne berufen: von den Kenntnissen des menschlichen Körpers schon im 8. Jahrhundert und dem Können arabischer Ärzte, das die hereinströmenden Kreuzfahrer als Zauberei fürchteten. Im Bismaristan Nuri, dem ehemaligen Hospital und heutigen Museum, ist ein Teil dieser Geschichte zu sehen. Oder Geschichten vom großen, klugen Herrscher Saladdin, dem Befreier Jersualems, dessen Mausoleum neben der Omaijaden-Moschee liegt. Diese entstand aus den Steinen eines römischen Tempels und einer christlichen Kirche. Zumindest beweist eine Säuleninschrift am Südportal die christliche Nutzung. „Dein Reich, oh Christus, ist ein ewiges, und deine Herrschaft wird über alle Generationen dauern.“ Aufwändige Mosaiken in Kupfer- und Goldtönen schmücken die Fassade am Eingang zur Moschee mit der Darstellung einer Paradieslandschaft. Im Innern lagern Familien auf den Teppichen. Kinder spielen. Schiitische und sunnitische Muslime beten vor einem knallbunten Schrein, der angeblich das Haupt Johannes des Täufers birgt. Dieser wird auch von den Muslimen verehrt. Die Omaijaden-Moschee ist Wallfahrtsort iranischer Schiiten. Sie beweinen in einem Nebengebäude ihren Iman Hussein, den Sohn des Ali. Sein Kopf soll hier aufgespießt worden sein. Überall in der Altstadt trifft man Gruppen von Frauen im schwarzen Tschador und ihre bärtigen Begleiter.

In Syrien zeigt sich die historische Verkettung von Judentum, Christentum und Islam. Nicht nur in der Omaijaden-Moschee verschränken sich christliche und islamische Motive. Auch Malula ist so ein historischer Ort. Das Dorf, in den Stein der Qalamun-Berge nördlich von Damaskus gehauen, ist eine christliche Insel. Hauptanziehungspunkt ist das griechisch-orthodoxe Kloster. Tausende pilgern jährlich hierher. Doch die eigentliche Attraktion von Malula ist die Sprache. Die Dörfler unterhalten sich bis heute auf Westaramäisch, der Sprache Christi. Das Aramäische gehört wie Arabisch und Hebräisch zur semitischen Sprachfamilie. Bis ins 7. Jahrhundert war es Lingua franca der Region. Heute sprechen noch ungefähr 10.000 Menschen in Malula und den beiden Nachbardörfern Aramäisch. Pater Ismail spricht in der Klosterkirche das Vaterunser für uns auf Aramäisch, um dann die Vaterunser-Kassetten und den schweren Rotwein der Mönche im Klosterlädchen auf Deutsch anzupreisen.

Syrien ist kein klassisches Reiseland, aber eine überaus interessante kulturhistorische Destination. Seit dem zweiten Golfkrieg ist die Region von der touristischen Landkarte gestrichen, seit dem Irakkrieg ist es Teil der „Achse des Bösen“, Feindesland. Vom Bürgerkrieg im benachbarten Irak spürt man hier allenfalls die Angst, als nächstes Angriffsziel auf der Liste der Amerikaner zu stehen. Das Thema Irak wird ansonsten gerne umgangen. Die Studiosus-Reisen dorthin finden Anklang trotz geopolitischer Wirren. Die 22 Teilnehmer unserer Gruppe haben unterschiedliche Motive: weil sie sich für den Kulturkreis interessieren, weil Freunde der Familie aus dem Irak kommen, weil der Sohn Islamwissenschaftler ist, weil sie am kirchlichen Dialog der Religionen teilnehmen. Sie wollen etwas erfahren, sind neugierig und unvoreingenommen. Unser Reiseleiter Azad Hamoto beantwortet so manche Frage, die bei unseren Begegnungen unbeantwortet blieb. Er hat in Deutschland studiert und ist die kritische Unverblümtheit der Fragen gewohnt. Er ist ein guter Vermittler. Und ein kompetenter. Er kennt die Geschichte der syrischen Armenier genauso wie die Ereignisse in der Stadt Hama. Dort machen wir auf dem Weg in den Norden nach Aleppo Halt. 1982 wurden hier bei einer Militäraktion gegen Muslimbrüder, die zum heiligen Krieg gegen die syrische Baath-Partei aufgerufen hatten, nahezu 30.000 Einwohner getötet. Mehr als 10.000 wurden in Gefängnisse verschleppt. Fast die gesamte Altstadt von Hama wurde dem Erdboden gleichgemacht. Heute thront dort das Chams-Luxushotel. Die asiatische Despotie lässt grüßen! Immer noch ist Hama eine Touristenattraktion. Auch wir steigen dort aus, um die knarrenden, riesigen Wasserräder der alten Bewässerungssysteme zu bestaunen.

Aleppo mit seiner riesigen Zitadelle und dem längsten Souk des Orients (12 km) ist ein Kleinod arabischer Kultur und eine der ältesten Städte der Welt. Aleppo fasziniert, auch wenn hässliche Durchgangsstraßen, unter französischer Verwaltung ganz im Zeichen der Moderne angelegt, die Stadt durchschneiden. Im Souk mit seinen Stoffen, Gewürzen, Tüchern, Schmuck, hunderttausend Alltagsgegenständen und kleinen Handwerksbetrieben verliert man das Gefühl für Orientierung, Zeit und Jahrhundert. Immer wieder tun sich neue Winkel, Einsichten, Überraschungen auf.

Die deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) engagiert sich in Aleppo in einem Projekt zur Sanierung der Altstadt. „Es ist einmalig, dass eine Altstadt dieser Größe von 350 Hektar mit 100.000 Menschen, die hier wohnen, erhalten ist“, sagt Meinolf Spiekermann, GTZ-Vertreter vor Ort. Doch die Altstadtsubstanz verfällt, die Sozialstruktur verändert sich. Wer es sich leisten konnte, zog weg. Nun versucht man die alte Stadt zu erhalten, indem man die Lebensbedingungen verbessert mit Kindergärten, Spielplätzen, modernen Geschäften und gezielter Wirtschaftsförderung. „Damit die Altstadt lebt und kein Museum wird“, betont Spikermann. Tourismus sei ein wichtiger Faktor zum Erhalt der Stadt. Ein gelenkter Tourismus, der das soziale Gefüge der Stadt nicht störe. „Denn das wollen Touristen hier ja sehen.“

In Aleppo empfängt uns der Bischof der armenischen Kirche, Augustus Ornatius Koussa. „Aleppo ist eine kosmopolitische Stadt“, sagt er. „Hier leben Katholiken, Protestanten, Muslime, griechisch-orthodoxe und syrische Christen friedlich und seit Jahrhunderten zusammen.“ Die armenische Kirche diene seiner Gemeinde vor allem als Treffpunkt und Identität stiftende Einrichtung. Sie betreibt Schulen, Jugendeinrichtungen und Sozialstationen.

„Die Fähigkeit Syriens, andere Kulturen aufzunehmen und zu integrieren, ist mein Lieblingsthema“, gesteht unser Reiseführer, der Kurde Azad Hamoto. „Ich kenne die Abgrenzung in Deutschland beispielsweise gegenüber Gastarbeitern.“ Hamoto präsentiert uns Syrien als multiethnische, multireligiöse, tolerante Gesellschaft. Wir hören ihm gern zu und sind für die Mühe dankbar, uns nur das Beste vom Land zu zeigen, auch wenn es vor allem freundliche Streiflichter sind.