Hinter Mendel ist Sense

AUS WESTERHAUSEN THOMAS GERLACH

Die Gene sind schon seltsame Dinger. Da ist irgendwas gespeichert, man weiß selbst schon gar nicht mehr, was, plötzlich wird es aktiviert – und Kurt-Henning Klamroth wird in der Wende freier Bauer wie seine Vorfahren auch. So ungefähr ist das gewesen vor 15 Jahren in Westerhausen im östlichen Harzvorland in Sachsen-Anhalt. Mit den eigenen Genen ist der 52-jährige Klamroth zufrieden, die Ahnen haben ihm nicht nur guten Acker vermacht, Hände, Stimme und Statur sind überaus prächtig, fast ein 2-Meter-Kerl – nur das Haupthaar ist dünn. So ist das mit der Vererbung – alles Gute ist nie beisammen.

Wie beim Wetter. Die Sonne scheint, ein Lüftchen geht, die Ackerkrume – nicht zu fest und nicht zu locker – ist wie Kuchen. Wer jetzt nicht drillt, dem ist nicht zu helfen. Doch andererseits ist es schon wieder zu trocken, das Zeug muss schließlich wachsen. Klamroth legt eine Schachtel Zigarillos auf den Küchentisch und schmiert sich eine Fuhre Gehacktes aufs Brötchen, es geht auf zehn. Er will noch was klären und sagt: „Es ist eben was anderes, ob ich die Vererbungsgesetze von Johann Gregor Mendel anwende oder durch Gentechnik was an der Pflanze verändere und noch was und dann noch mal was. Ist das dann noch die Pflanze, die der liebe Gott geschaffen hat?“ Die CDU/FDP-Regierung von Sachsen-Anhalt ist mit dem lieben Gott nicht so zufrieden und hat eine „Biotechnologie-Offensive“ gestartet.

Klamroth hat zur DDR-Zeit in der Saatzucht gearbeitet. In der Region hat das Tradition, sie liegt im Regenschatten des Harzes, die Erträge sind mittelprächtig, aber für die Zucht ist das gut, denn das, was runterkommt, ist berechenbar, und Saatzucht bringt Geld. Eigentlich mag Klamroth das Thema Gentechnik nicht. Ein Mistthema!, hat er früher gesagt, aber jetzt hat er’s auf dem sachsen-anhaltischen Tisch. Wenn die Magdeburger Regierung die Gentechnik ins Land holt, muss das CDU-Mitglied Klamroth, Präsident des Landvolkverbandes Sachsen-Anhalt und Bauer mit über 400 Hektar, seinen Stallmist dazugeben. Seine Vorfahren würden sich im Grabe umdrehen, wenn er so was zuließe, hatte Klamroth gesagt.

Heute zündet er sich ein Zigarillo an und sagt: „Wenn man hier wohnt und das von den Generationen her denkt, und das ist ja das Bäuerliche, eben nicht nur an die Gewinnmaximierung zu denken, dann hat sich das mit den Genpflanzen schon erledigt“, und schickt hinterher: „Klar, ich muss auch Geld verdienen, und ich schmeiße auch Dünger, so ist das nicht.“ Klamroth ist Präsident des Landvolkes, nicht des Gäa e. V., des ostdeutschen Ökolandbauverbandes. Und Herbizide spritzt er auch. Aber hinter Johann Gregor Mendel ist Sense.

Klamroths Stammbaum geht bis 1677, von jedem Trecker, jeder Maschine grüßt das Familienwappen, nur vom Hintern der Kühe noch nicht. Früher hatten die LPGs ihren Wilhelm auf nahezu alles draufgepinselt, gelegentlich auch auf das, was ihnen nicht gehörte. Auf Klamroths Hof war die „Kolchose“ auch drauf, Klamroth nimmt das Kürzel „LPG“ nicht in den Mund. Kolchosen waren’s, und die waren was Fremdes mit fremden Methoden und mit Verheißungen wie „Ohne Gott und Sonnenschein bringen wir die Ernte ein!“. Sie haben den Bauernstand ruiniert.

Und jetzt kommen Syngenta und Monsanto und wie die Unternehmen alle heißen und versprechen das Blaue vom Himmel und Arbeitsplätze obendrauf und ruinieren die paar Bauern, die es noch gibt. Die Unternehmen werden über kurz oder lang alles in ihren Händen halten, das Bauerntum wird von Agrarfabriken verdrängt. Die Flächen liegen dann immer noch hier, doch der Eigentümer wohnt in Holland, der Geschäftsführer kommt aus Schleswig-Holstein und die Arbeiter kommen vielleicht aus Rumänien. Und die Bauern im Dorf? Richten die dann als ABM ein Heimatmuseum mit Butterfass, Dreschflegel und Kackhaus ein?

Ein modernes Bauernlegen geht um. Die Sonne steigt höher, es geht auf elf. Klamroth schmiert sich noch ein Brötchen. Apropos Brötchen. 50 Gramm wiegt so ein Ding, ein Quadratmeter Weizen ergibt 12 Brötchen, der Bäcker bekommt dafür etwa 3,60 Euro, der Bauer 7 Cent fürs Mehl. Bei Butter und Gehacktem ist es ähnlich, und Zwiebeln kommen heute sogar aus Neuseeland. Die Genindustrie wird den Druck noch erhöhen.

Von den Versprechungen der Konzerne bekommt der FDP- Wirtschaftsminister Horst Rehberger in Magdeburg heiße Ohren. Von der CDU-Landwirtschaftsministerin Petra Wernicke spricht Christdemokrat Klamroth nachsichtig: „Die hat mir gesagt, dass sie nichts unternimmt, was gegen die Bauern gerichtet ist.“ Die Genlandwirtschaft werde sich hoffentlich von selbst erledigen. Klamroth nimmt die Zigarilloschachtel und legt sie vor sich hin. „Wenn das mein Weizenschlag ist, und mein Nachbar“ – er legt das Feuerzeug daneben – „baut Genweizen an, dann habe ich schon Einkreuzungen bei mir.“ Er legt noch die Streichholzschachtel hinzu. „Baut der andere Nachbar auch noch Genweizen an, habe ich noch mehr, und wenn ich meinen Weizen verkaufe, findet der Händler Genweizen.“ Bis die das feststellen, seien drei Tage vergangen, da ist der Weizen längst in einer größeren Partie, und die ganze Ladung ist versaut. „Und wer soll dafür haften?“ Klamroth zieht ein Zigarillo aus der Schachtel. „Die Züchter? Die Versicherer? Das bleibt alles beim Bauern hängen.“ Der Bauer könne zwar klagen, aber ehe er Recht bekomme, sei er pleite.

Kurt-Henning Klamroth setzt gegen die „Biotechnologie-Offensive“ seine Idee: 85 Prozent der Äcker sind Pachtland. Wenn ein Landwirt dem Genanbau zustimme, müsse er also den Pächter fragen. Da die Flächen aber schmal sind wie Handballfelder, und die Landwirte die gepachteten Flächen untereinander so getauscht haben, dass sie einigermaßen große Schläge bekommen, hängt jeder bei jedem mit drin. „Und dann frage ich die Besitzer, ob sie eine nachhaltige Verminderung ihres Eigentums zulassen?“ Klamroth klingt sehr zufrieden, es ist wie eine Graswurzelaktion. „Greenpeace versaut mit seinen Aktionen zwei bis fünf Äcker, Aber wenn die Eigentümer diese Bewirtschaftung nicht zulassen, dann geht gar nix!“ Ein richtiger Bauer kann eben weiter denken, als ein Schwein scheißt. „Sowjetische Produktionsmethoden wie in der Kolchose sind für uns nix, genauso wenig wie amerikanische mit genveränderter Saat. Wir sind das alte Europa“, sagt Kurt-Henning Klamroth noch zufriedener. Genug theoretisiert, hinaus und Raps gedrillt.

Der Mitarbeiter zieht schnurgerade mit der Drillmaschine los. „Warum profiliert sich Sachsen-Anhalt nicht als Anbaugebiet für Eliteweizen?“, fragt Klamroth. Die Gegend hier hat sechzig Bodenpunkte in der Güteskala zwischen null und hundert, die Magdeburger Börde bringt es auf über neunzig – bester deutscher Boden. Klamroth läuft gebückt neben der Maschine und prüft die Saat. Er hat zwei Töchter und einen Sohn, und wenn man ihn reden hört, werden alle drei bei der Stange bleiben. Um das Dorf herum liegt der Acker, auf dem Friedhof liegen die Vorfahren. So wie die Dinge stehen, brauchen die sich vorläufig nicht zu grämen.

Fünfzig Kilometer weiter östlich bei Bernburg hat das Genzeitalter schon begonnen. Glücklich wirkt Eckhard Mädchen, der Chef der Agrargenossenschaft Baalberge, nicht, er hatte auf seinem Acker neulich Besuch. Greenpeace-Aktivisten haben auf einem 30-mal-30-Meter-Quadrat, das für Genweizen vorgesehen war, Bioweizen ausgebracht und für die Gensaat unbrauchbar gemacht. Verglichen mit Klamroth wirkt Mädchen, der im Versammlungsraum der Genossenschaft sitzt, fast einsiedlerisch. Vor ihm auf dem Tisch liegt die Anzeige gegen Greenpeace wegen Sachbeschädigung. Aber eigentlich scheint dem 44-Jährigen im Moment alles egal zu sein. Ja, die Genossenschaft habe diese Fläche an die Bio Mitteldeutschland GmbH verpachtet, die für Syngenta die Saat ausbringen wollte. Ja, es gebe Kontakte zu der GmbH wie auch zu der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau in Bernburg, die ebenfalls ihren Acker hergab. Dort wurde der erste Genweizen gesät.

Es gebe eben kein Verständnis mehr für Landwirtschaft. Wenn die Genossenschaft Mist streue, gebe es sofort argwöhnische Anrufe, von Anwohnern, dass es wie faule Eier stinke. Wenn im Sommer die Mähdrescher ratterten, wollten Anrainer benachrichtigt werden, um ihre Goldfischteiche abzudecken, damit kein Stroh hineinfällt und die Fischlein nicht ersticken. Jetzt ist Mädchen doch noch fuchsig geworden. Kein Verständnis für Landwirtschaft, das sei die Realität. Brot und Wurst kaufe man im Supermarkt. Und jetzt das! „Die Versuche werden sowieso gemacht, wenn nicht hier, dann in Polen.“ Und Mitteldeutschland hat seine Chance verspielt. Schon ist Mädchens Zorn verraucht. In seinem Eifer ist er nicht weit von Klamroth entfernt, sie setzen nur auf verschiedene Pferde. Eckhard Mädchen verabschiedet sich mit einem Klaps auf die Schulter. „Machen Sie’s gut!“ Wie es aussieht, hat er seine „Biotechnologie-Offensive“ abgeblasen. Das mit dem Weizen hat sich wohl erledigt, und Genmais soll es bei ihm in diesem Jahr nicht geben.