Kritik an nordkoreanischen Behörden

Die Regierung in Pjöngjang hat ausländischen Helfern gestattet, den Unglücksort Ryongchon zu besuchen, ihnen aber den Zugang zu Krankenhäusern verwehrt. Die Bevölkerung wurde erst 50 Stunden nach der verheerenden Explosion informiert

VON MARCO KAUFFMANN

Zwei Tage nach der verheerenden Explosion in der nordkoreanischen Stadt Ryongchon haben am Wochenende ausländische Diplomaten und Vertreter von Hilfswerken den Unglücksort besichtigt. Laut einem Mitarbeiter der Internationalen Rotkreuzföderation liegen hunderte Gebäude in Schutt und Asche. Am Bahnhof, wo die Güterwagen explodierten, entstand ein riesiger Krater. 161 Menschen sind nach Angaben der Rotkreuzföderation getötet worden, beinahe die Hälfte davon Kinder. Die Zahl der Verletzten wird auf mindestens 1.300 geschätzt. Durch die Wucht der Detonation stürzten mehrgeschossige Wohnhäuser in sich zusammen, aber auch eine Schule und das Spital von Ryongchon, einer Industriestadt mit 130.000 Einwohnern.

Die ausländische Delegation durfte sich ungehindert bewegen und fotografieren. Nicht zu sehen bekamen sie aber die Verletzten. In der Nachbarstadt Sinuji, ummittelbar an der Grenze zu China, sollen sich 357 schwer Verwundete befinden. Humanitäre Organisationen, die nordkoreanische Spitäler zu Gesicht bekamen, waren entsetzt über die schlimmen Zustände.

Das UNO-Kinderhilfswerk Unicef in der Hauptstadt Pjöngjang bezeichnet die Einschätzung der Lage vom Samstag, die offenbar nur wenige Stunden dauerte, als „sehr provisorisch.“ Der Sprecher der Rotkreuzföderation in Peking qualifizierte die Informationspolitik der nordkoreanischen Behörden als „ungenügend“. Humanitäre Organisationen, die in Nordkorea arbeiten, hüten sich in aller Regel vor direkter Kritik. Sie gehen sonst das Risiko ein, ausgewiesen zu werden.

Die staatlichen Medien des hermetisch abgeriegelten diktatorisch regierten Landes haben die Bevölkerung erst mehr als 50 Stunden nach der Katastrophe informiert. Im Fernsehen verlas ein Sprecher die Unglücksmeldung, nannte aber keine Opferzahlen.

Nach Darstellung der amtlichen Nachrichtenagentur KCNA waren am Donnerstag zwei Züge beim Rangieren zusammengestoßen. Dadurch sei ein Strommast umgestürzt. Schließlich habe ein Kurzschluss zur Explosion geführt. Einer der Waggons soll mit Brennstoff beladen gewesen sein, ein anderer mit Ammoniumnitrat. Der hoch explosive Stoff ist Bestandteil vieler Düngemittel, aber auch gewerblicher Sprengstoffe. Am Freitag hatte es unter Berufung auf nordkoreanische Beamte geheißen, zwei Güterwagen hätten Dynamit transportiert. Die Katastrophe sei aus „Nachlässigkeit“ passiert, meldet KCNA.

Das Nachbarland China hat Hilfe von rund 1,5 Millionen Euro zugesichert. Am Sonntag sind aus der Grenzstadt Dandong bereits Lastwagenkonvois mit Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern losgefahren. Das Auswärtige Amt in Berlin bewilligte 50.000 Euro für Sofortmaßnahmen, die Europäische Union sagte 200.000 Euro zu. Die USA wollen dem „Schurkenstaat“ ebenfalls helfen – wenn man darum gebeten werde, hieß es in Washington.