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: Der Alte und der Finstere

Sonntagmorgen. Haltestelle Hasselbrook. Die S 1 ruckelt los. Ganz sanft, um die wenigen Fahrgäste nicht aus ihrem Dämmerzustand zu reißen. Sie schauen schweigend aus den Zugfenstern. Ein Klappern und Flüstern durchbricht die Schlafwagenatmosphäre. Ich höre erst ein Schlurfen hinter mir, dann die zaghafte Frage: „Darf ich mal, bitte?“ Das Schlurfen wird lauter, die Stimme auch. Niemand antwortet.

Auf einmal steigt der Geruch von Bier in meine Nase. Nun höre ich das Schlurfen und die Stimme direkt neben mir. „Darf ich mal, bitte?“ Vor mir steht ein gebückter, alter Mann. Er trägt eine abgewetzte Jeans, die Jacke ist schmutzig. Rot geäderte Augen blicken mich aus dem faltigen Gesicht an. Der Mann beugt sich zu mir, ich rutsche instinktiv an das Fenster heran. Die ausgemergelte Hand ergreift die Klappe des Abfallbehälters. Er schaut hinein, lässt den Deckel mit enttäuschtem Gesicht wieder fallen und schlurft weiter.

„Darf ich mal, bitte?“, fragt er zwei Sitzreihen weiter einen riesigen, schwarz gekleideten Mann, der finster zurückblickt. Anstatt zu antworten, hebt der Finstere seine rechte Hand und streckt dem Alten entgegen seinen rechten Daumen hoch. „Ooh“, sagt dieser und lächelt verschmitzt. Seine Hand schnellt zum Abfallbehälter. Er zieht eine leere Bierflasche heraus, die nun in seinem klappernden und nach Bier riechenden Beutel verschwindet. Die Bahn bremst ab. Haltestelle Landwehr. Der alte Mann steigt aus. UTA GENSICHEN