BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER
: GASTRO-ARIEN: Rossinis Barbier von Sevilla im „Alten Europa“

Überrascht und leicht irritiert guckt er um sich, der Kneipengast im schlichten, holzigen „Alten Europa“ in der Gipsstraße. Zögerlich kreuzt er sein Besteck auf dem Teller, wo Bratkartoffeln, Steak und Salat (7,50 Euro) verzehrt werden wollen. Von diesen sehr zu empfehlenden Köstlichkeiten (statt Steak auch mit Spiegelei oder Quark, ab 3,50 Euro) sieht er also ab, nimmt noch einen Schluck tschechisches Bier („Krusovice“), und – horcht auf.

Denn den White Stripes hat der Barkeeper eben den Saft abgedreht. Jetzt erklingt als Begleitung für die rothaarige Diva im wallenden Kleid Rossinis „Barbier von Sevilla“. Der Star im Rampenlicht steht erhöht auf den Stufen zur zweiten Ebene des gemütlichen Lokals. Stolz blickt die Sängerin auf das brav verstummte Kneipenvolk hinab.

Weil sie „Spaß daran haben, Orte und Stücke zu inszenieren“, kam drei Ex-Münchnern die Idee, ihre Gäste mit kurzen Auftritten von Sängern und Schauspielern zu überraschen. Auch wenn diese bloß in die Kneipe wollten, um guten französischen Rotwein (!) zu trinken. „Manchmal muss man die Leute zur Kultur zwingen“, sagt Christian Schulz. Man raunt hinter vorgehaltener Hand, dies sei nur ein Deckname, was er heftig dementiert.

Er ist Schauspieler. Seine zwei Freunde sind Bühnenbildner und Regisseur. Außer im „Alten Europa“, das seinen Namen nicht Rumsfeld, sondern dem „kulturellen Erbe unseres Kontinents“ verdankt, kümmern sie sich in ihrem Sommertheater, dem „Hexenkessel“ an der Spree, um Dekoration und Programm. Ihr Chef ist Schulz, der – ganz bescheiden – sagt, er sei für seine 200 Mitarbeitern der „Pate von Berlin“. Ach ja, und er sei der „Erfinder des europäischen Stadtstrandes“. Vor zwei Sommern gründete er Oststrand und Strandbar Mitte – Städte wie Paris und Amsterdam zogen nach.

Diese drei wollen „auf einer kulturellen Mission gegen die allgemeine Verflachung“ angehen. Nebenbei dienen die Miniauftritte in der Gipsstraße 11 – übrigens das Haus, in dem vor 200 Jahren erstmals Blinde Unterricht erhielten – als Casting für das große Sommerspektakel der Hexenkessler, die bekannt sind für ihre Shakespeare-Stücke.

An ihren Stränden wollen sie ab Mai dem Mojito süffelnden Volk regelmäßig eine Dosis Kultur einflößen. Bis dahin soll im „Alten Europa“ jeden Freitag, meist zwischen 22 und 23 Uhr, eine kleine Showeinlage die „Welt ein bisschen weicher“ machen. Und heute? Hat die Diva ihre virtuose Arie gerade grandios zu Ende geschmettert. Alle sind begeistert. Nun nippt der Kneipengast vollkommen zufrieden an seinem Augustiner und nimmt sein Besteck wieder auf. Das Steak ist kalt. Doch betört vom Opernklang scheint ihn das gar nicht zu stören. MIA RABEN

„Altes Europa“, Café/Bar/Restaurant, Gipsstraße 11, U 8 Weinmeisterstraße, Tel. 24 04 86 50, Mo.–So. geöffnet von 12 Uhr bis spätnachts