MICHEL FRIEDMAN WIRD ZURÜCKTRETEN MÜSSEN. LEIDER
: Das Gegenteil des jüdischen Teddys

Keine Vorverurteilungen – aber alles spricht dafür, dass Michel Friedman, Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, gekokst hat. Wenn eine führende Figur der Bundesrepublik eklatant gegen deren Gesetze verstößt, ist die Frage, ob das Verbot bestimmter Betäubungsmittel sinnvoll ist, fehl am Platze. Bestätigen sich die Vorwürfe, dann zählt einzig, dass Friedman in einem Amt, das besonders hohen moralischen Ansprüchen genügen muss, offensichtlich versagt hat.

Eine wahrscheinliche Straftat ist keine Privatsache mehr. Schließlich geht es hier nicht um den TV-Talker, CDU-Politiker und Anwalt Friedman. Vielmehr ist er als Führungsfigur im Zentralrat in einem Amt diskreditiert, das nur durch moralische Autorität politisch positiv wirken kann. Friedman hat schon jetzt der politischen Repräsentanz der Juden in Deutschland geschadet. Er wird, ob berechtigt oder nicht, auch deshalb zurücktreten müssen, weil er von vielen nur noch als Kokser wahrgenommen wird. So kann er dem Judentum an führender Stelle keine Hilfe mehr sein.

Dabei wäre der Rücktritt Friedmans zu bedauern – gerade weil er nie zu den einfachen Persönlichkeiten im politischen Geschäft zählte. Er hat sich als erster führender Jude der Bundesrepublik bewusst nicht in das Bild gefügt, das ein Deutscher jüdischen Glaubens hier normalerweise abzugeben hat. Er war eben nicht der Opfer-Jude, der den nichtjüdischen Deutschen sowieso am liebsten ist.

Friedman war das Gegenteil des netten jüdischen Vorzeige-Teddys, der ab und an der Schoah gedenken und vor Neonazis warnen darf, aber sonst besser zu schweigen hat. Nein, er polarisierte und brillierte wie wenige andere. Gerade durch dieses eckige Wesen, das nicht daran dachte, sein öliges Image der Öffentlichkeit zuliebe zu ändern, führte er etwas vor, was vielleicht einmal zu einer irgendwie gearteten Normalisierung zwischen Juden und Nichtjuden führen könnte. Ein Selbstbewusstsein nach dem Motto: Ich bin deutsch und laut und Jude – und es ist mir egal, ob ich euch gefalle. Auch deshalb war Friedman ein Gewinn für diesen Staat und seine Juden. PHILIPP GESSLER