Das Wahwah von Bern

ZDF-Historiker Guido Knopp wühlt in jeder deutschen Magengrube. Jetzt hat er auch noch das „Wunder von Bern“ per Doku verklärt (20.15 Uhr, ZDF) – aber die Autoren machen das Beste draus

VON JAN FREITAG

Ach, hätte Helmut Rahn doch danebengeschossen, in den Boden getreten oder anderweitig versagt. Hätte Ungarn doch kurz vor Schluss getroffen, der Regen aufgehört oder der Schiri nicht zu Unrecht Abseits gegeben. Hätte, wäre, wenn und aber – Rahn hat getroffen, der Spielleiter gepfiffen, Herbert Zimmermann ekstatisch „Auuuus. Das Spiel ist aus“ gegrölt, und plötzlich hieß es, „Wir sind wieder wer!“

Und zwar nicht nur von Kiel bis Konstanz, wie uns der germanischste aller Geschichtsonkels, Guido Knopp, wissen lassen möchte, „sondern ebenso von Rostock bis Suhl“. Die Weltmeisterschaft 1954 als gesamtdeutsches Wiedervereinigungstrainingslager, das Wunder von Bern als Gründungsmythos der Bundesrepublik, der Geist von Spiez als frühes Einfallstor in die Normalität.

Mit ganz neuen Bildern, fünf farbigen Finaltoren, viel Pathosgedöns und sinfonisch untermalter Aufarbeitung versucht „Das Wunder von Bern. Die wahre Geschichte“ ganz neu zu verklären, was spätestens seit Sönke Wortmanns Realfiktionssoap gar keiner Verklärung mehr bedarf: Ohne das Tor von „Boss“ Rahn, sechs Minuten vor Schluss im mittlerweile abgerissenen Wankdorf-Stadion, wären wir dem Morgenthauplan vielleicht ein kleines Stück näher gekommen als dem Marshallplan.

Es kam anders. „Bern. 4. Juli. Ein folgenschwerer Tag“, sonort Rolf Schult, Robert Redfords Synchronstimme, wie stets durchs Knopp’sche Historienallerlei und markiert damit den Einstieg in 90 Minuten Nebensachkunde. Als diese noch auf den Filmbeau aus Hollywood abonniert war – 1984, als Redfords Film eines Underdogbaseballers „The Natural“ (kann das Zufall sein?) in die Kinos kam –, hat der Dr. Knopp gerade die ZDF-Redaktion Zeitgeschichte übernommen und das geschichtsfaule Volk seither mit kitschigem Nazizeitaufbereitungspuder überzuckert. Weil er auch dem Menschenverkoster Hannibal Lector seine Stimme gibt, klingt Schult inzwischen allerdings auch immer ein wenig nach Kannibale.

Egal, in erster Linie klingt es dramatisch, wenn er Dinge wie das mit der Folgenschwere sagt, von Herbergers Geheimwaffe – „das deutsche Lied: ‚Hoch auf dem gelben Wagen‘ “ – salbadert oder eine eigentlich simple Freizeitbeschäftigung mit Begriffen wie Angriffswelle, Schicksalsgemeinschaft oder Abwehrschlacht zum neuzeitlichen Endkampf im Teutoburger Wald hochjazzt.

Hoch das Armhaar

Doch genug von Guidos historisierendem Wahwahsound, hin zu etwas Positivem, das schmerzlich beginnt: Als in (wie im Knopptum üblich) „bislang nie gezeigten Bildern“ das finale Ausgleichstor flimmert, geht selbst einem Wunderungläubigen das Armhaar hoch. Untermalt von neoklassischem Streicherquark, wie er sonst nur läuft, wenn US-Marines ihre Jungs aus der Blockbusterscheiße holen, ist der dramaturgischen Wirkung kaum zu entgehen.

Denn wahre Fußballfans wollen siegreiche Underdogs. Egal, ob deren Land zu Recht in Trümmern liegt oder es unsympathische Clubs wie, sagen wir: VfB Stuttgart gegen noch weniger sympathische wie, sagen wir: Real Madrid sind.

Und die Deutschen waren Außenseiter. Krasse sogar. Endlich mal.

Von daher ist den Regisseuren – all das Pathos einmal beiseite gelassen – Sebastian Dehnhardt und Manfred Oldenburg eine ziemlich gute Doku gelungen. Chronologisch stringent, überaus informativ und dank Auflistung dunkler deutscher Flecken – destruktive Spielweise, spätere Dopingvorwürfe, militaristische Sportauffassung – teilweise richtig objektiv. Und geradezu beispielhaft ist darüber hinaus die Darstellung ungarischer Stimmungsschwankungen durch Standbilder der Spielerfrauen beim Endspiel am Radio.

Aber natürlich bleiben die typisch Knopp’schen Fragen zurück: Warum wurden gerade Kohl, Stoiber, Thierse und Renate Schmidt interviewt? Lief eigentlich beim Finale auch unentwegt Musik? Was soll der sonderbare bunte Spektralfleck im sonst mausgrauen Hintergrund der Zeitzeugen? Und hätte Rahn nicht doch …