Seid ihr gut drauf?

80 Euro kostet eines der Päckchen, die Lieferant T. im leeren Aschenbecher des Wagens aufbewahrt

Medienbranche

Der Wirt in einer Münchner Trattoria lächelte beim Abschied und drückte dem Gast ein Tütchen in die Hand. Dabei versuchte er nicht einmal, die Übergabe der fünf Gramm Kokain groß zu verbergen. Viele seiner Gäste aus dem Filmgeschäft wussten schließlich Bescheid. Sie schätzten seine Qualitäten als Kleindealer mindestens so sehr wie seine apulischen Rotweine.

Nicht nur in Münchens Schickimickikneipen gilt das weiße Pulver als akzeptiertes Genussmittel. Wobei der Konsum dank der harten bayerischen Drogenjustiz an der Isar meist nicht ganz so offen demonstriert wird, wie in den In-Lokalen Hamburgs oder Berlins. An der Verbreitung aber ändert das nichts: Auf fast jeder privaten Party der Schönen, Erfolgreichen oder nur Reichen ist die Droge mal mehr mal weniger sichtbar mit dabei.

Da lädt wie an der Hamburger Außenalster ein Gastgeber ganz offen in das Nebenzimmer ein („Es ist angerichtet“), oder aber die Gäste auf einer Münchner Geburtstagsfeier bitten untereinander offen zu Tisch, auf dem sich Linie an Linie des weißen Pulvers reiht.

Auch wenn das Gramm Kokain mit 50 bis 80 Euro nicht mehr so teuer ist wie noch vor einigen Jahren: Wer Kokain konsumiert, zeigt damit auch, dass er es sich leisten kann. Vor allem in der Medien- und Unterhaltungsszene ist das aufputschende Mittel nach wie vor die beliebteste Droge – nach Alkohol und Cannabis. Nur die nachlassende Wirkung ist unangenehm (Depression, Erschöpfung). Doch anders als seine Verwandten macht Kokain nicht müde, vernebelt nicht die Sinne und vermittelt nicht den Eindruck von Kontrollverlust.

Im Gegenteil: Anstatt zu lallen wie Betrunkene reden Kokainisten geschliffen und anscheinend kühl kalkulierend. Nicht jeder, der überheblich wirkt, ist auf Koks. Aber viele, die auf Koks sind, wirken überheblich. Gerade die im Rampenlicht stehen, fürchten nichts mehr als einen Kontrollverlust. Das und die Angst, bei einem öffentlichen Auftritt zu versagen, machen Kokain zum verführerischen Gegenmittel.

Das Image von Kokain als der Droge der Erfolgreichen lässt aber auch drittklassige Chargen glauben, allein schon der Konsum bedeute Erfolg. Eine gigantische Marketingstrategie – ganz ohne dahinter steckende Werbe-Agentur. Dabei lässt sich die Mär von der angeblich gesteigerten Kreativität durch Kokaingenuss auch durch gegenteilige Erfahrungsberichte kaum entkräften: Konstantin Wecker, Deutschlands wohl berühmtester Exkokser, fühlte sich im Kokainrausch besonders leistungsfähig. Doch nüchtern betrachtet fand er anderntags nur ein paar hingekritzelte belanglose Akkorde auf dem Papier.

Bei Musikerkollege Elton John („Crocodile Rock“) endete der Rauschzustand durch Koks nach eigenen Angaben „in totaler Einsamkeit“, bei Whitney Houston („All at once“) in der Drogenklinik, bei Schauspieler Ernst Hannawald im Kittchen und bei Jerry Garcia, dem Gitarristen der Grateful Dead, auf dem Friedhof. Hannawald benötigte am Ende seiner Sucht fünf Gramm Kokain pro Tag. Das versuchte er schließlich durch einen Banküberfall zu finanzieren. Als prominentester deutscher Kokstoter gilt noch immer Rainer Werner Fassbinder, der sich 1982 durch einen Drogencocktail aus Kokain, Alkohol und Aufputschmitteln ins Jenseits beförderte.

Dabei unterscheidet sich der Stoff in den Salons von Hamburg, Berlin und München ganz erheblich von dem verpantschten Zeug, das als Kokain auf der Straße verkauft wird. Wirklich reinen Wirkstoff beschafft sich die Mode-, Pop- und Medienwelt über ein Netz ausgesuchter Lieferanten. Deren Handynummer kennen oft nur wenige, mitunter aber auch die Polizei. Auf diese Weise flogen Wecker, Christoph Daum und vermutlich nun auch der Talkshowmoderator Michel Friedman (HR, „Friedman“) auf.

In der Film- und Fernsehbranche spricht jeder gern über andere, die angeblich schniefen und schnupfen. Von sich selbst sprechen prominente Kokser aber nur dann, wenn sie diese Phase ihres Lebens überwunden haben. So erinnert sich heute Wolfgang Joop laut daran, wie er zusammen mit anderen in den 80er-Jahren auf Partys in die Nase einsog, was die Scheidewand aushielt. Einmal sei statt Essen und Trinken „nur ein Onyx-Brett mit Rillen, außerdem ein kleiner Löffel und ein goldener Strohhalm“ vom Gastgeber serviert worden.

Ein Trost bleibt: Die vielen, die Michel Friedman immer für arrogant gehalten haben, haben jetzt die Chance, ihr Urteil zu revidieren. Vielleicht war es ja nur das Kokain. PHILIPP MAUSSHARDT

Mitte der Gesellschaft

Wohin der Journalismus führt! Um Studien über die Kokainisten zu machen, musst auch du dich berauschen!“

„Was willst du? Es könnte mir was Schlimmeres passieren. Als Pythagoras zu den Ägyptern reiste, musste er sich beschneiden lassen, um ihren Mysterien beizuwohnen.“

Dieser Dialog entstammt dem 1922 erschienenen und lange indizierten Roman „Kokain“ des italienischen Schriftstellers Dino Segre alias Pitigrili, verfasst zur ersten Hochzeit der Droge. Um heute Studien über Kokainisten zu machen, muss man sich nur umhören. Eigentlich genügt eine einfache Handynummer.

Ob man sich denn mal treffen könnte?

„Okay, ich bin in einer halben Stunde am Kurfürstendamm“, sagt Thomas vom inoffiziellen „Call-A-Cocaine“-Lieferservice. Thomas ist immer ein anderer junger Türke, wie auch sein Auto immer ein anderer Mietwagen ist. Alle zwei Monate versendet die Gruppe eine aktuelle Nummer an den Kreis der Kunden. Ungehalten reagiert Thomas, wenn man in seinen Golf steigen, aber nichts kaufen will: „Ey, es ist Wochenende, ich hab zu tun!“

Zu tun hat er vor allem in „jungen“ Berliner Bezirken wie Mitte und Prenzlauer Berg, auch Charlottenburg. In Arbeiterbezirke wie Neukölln oder ins bekiffte Kreuzberg wird er seltener gerufen. Nach einer Runde um den Block ist so ein Deal abgeschlossen. 80 Euro kostet eines der „szenetypischen Päckchen“, die er im leeren Aschenbecher des Wagens aufbewahrt. Nein, um Gottes Willen, bewaffnet sei er nicht.

Säße jetzt zufällig der kolumbianische Drogenbaron Carlos Lehder Rivera auf dem Rücksitz, so würde er Thomas vehement widersprechen: „Kokain ist die Atombombe Lateinamerikas“, hat er mal gesagt. Die Druckwelle dieser Bombe ist nicht nur auf den Partys der Schickeria zu spüren, sondern auch im banalen Alltag.

Als Schmiermittel und Treibstoff beschleunigter Zeiten hat Kokain, nach seiner zweiten Hochzeit in den Achtzigerjahren, in der letzten Dekade wieder Boden gut machen können. Einerseits in der boomenden New Economy und überall dort, wo sehr viele junge Menschen sehr viel arbeiteten, um sehr viel Geld zu verdienen. Wach und kreativ, das wollten nun nicht mehr nur die Künstler, das wollten nun auch die HTML-Programmierer und Webdesigner sein. Leute, die ihre einsamen Nächte vor flimmernden Bildschirmen verbringen, während doch das Leben irgendwo stattfinden muss.

„Unter lasterhaften Menschen schämt man sich, frei von dem Laster zu sein“, beschreibt Pitigrili die prekäre Situation. Mit dem Niedergang der Dotcoms diffundierte die kostspielige Gewohnheit in die Mitte der Gesellschaft. Dass der Preis der gleiche bleibt, spielt weiter keine Rolle – Verschulden ist doch Volkssport.

Auf der Suche nach dem eigentlichen Leben waren und sind auch die Raver und andere jugendliche Clubgänger. Guarana gibt’s hinter jeder Theke und „Red Bull“ verleiht Flügel, doch sind solche Substanzen nur billige und legale Substitute für das teuere und verbotene Kokain.

Wer die Stufen von Ekstasy und Speed genommen hat, muss nur noch die Klotür zur Königsdroge aufstoßen. Und wer die Probe machen möchte, der möge nur bei nächtlichen Streifzügen durch ganz gewöhnliche Kneipen die flachen Stellen auf den Toiletten mit dem Finger abfahren – und staunen, wie oft Spuren von weißem Pulver haften bleiben. Häufig genügt ein Blick in die Augen. Pupillen wie schwarze Stecknadelköpfe sind ebenso verbreitet wie die Kenntnis einschlägiger Redensarten à la „am Tischtuch schnuppern“.

Von einer „Szene“ kann hier keine Rede mehr sein. „Szenetypisch“ ist ein Begriff der Staatsanwaltschaft und bedeutet: irgendwo, nur nicht hier. Irgendwer, nur nicht wir. Eine Szene, das mag der schäbige Straßenverkauf gestreckter Ware an U-Bahnhöfen sein. Eine Telefonnummer aber ist eine saubere Sache.

Der Lieferant Thomas will jetzt wissen, ob man denn nicht doch ein Schnuppertütchen … für Großkonsumenten, sagt er, gibt’s großzügigen Rabatt. Nein? Wirklich nicht? Warum denn dann eigentlich die Fragerei? Wegen Friedman? „Friedman kenn ich nicht. Wer soll denn das sein?“ ADAM LUX