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Dank Frankreichs Einmischung wurde aus der „feindlichen Übernahme“ ein „freundliches Angebot“

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Kaum war die Fusion in der europäischen Pharmaindustrie von den beiden Konzernspitzen abgesegnet, gratulierte am Sonntagabend der Pariser Gesundheitsminister. „Frankreich wird eine der weltweit größten Pharmagruppen haben“, sagte Philippe Douste-Blazy. Gleich nach ihm jubelte Premierminister Jean-Pierre Raffarin: „Die Entscheidungszentren bleiben in Frankreich und in Europa.“ Und: „Dieses Ergebnis entspricht unserem strategischen Interesse.“ Bedenklicher hingegen die Töne in Berlin und Bern. Dort sprachen Regierungsmitglieder von einer „Einmischung“ der „französischen Regierung in Unternehmensentscheidungen“.

Tatsächlich ist die nach dreimonatigen harten Börsenkämpfen beschlossene Übernahme des deutsch-französischen Pharmakonzerns Aventis durch den deutlich kleineren französischen Sanofi-Synthélabo unter diskretem, aber bestimmtem Druck der Pariser Regierung zustande gekommen. Finanzminister Nicolas Sarkozy hatte mit Xavier Muscat eigens einen Unterhändler aus seinem Hause benannt, um die Verhandlungen voranzutreiben. Und so waren die beiden Konzernchefs, zwischen denen zuletzt heftig die Fetzen geflogen waren, am Wochenende in Paris erneut zusammengetroffen.

Am Sonntagabend war der Plan von Jean-François Dehecq (Sanofi) und Igor Landau (Aventis) perfekt: „Sanofi übernimmt Aventis.“ Stimmen sämtliche Instanzen – darunter auch die EU – der Fusion zu, wird der größte europäische Pharmakonzern entstehen. Weltweit wird er Platz drei belegen – hinter dem US-amerikanischen Pfizer und hinter GlaxoSmithKline.

Sanofi hatte die damals noch „feindlich“ genannte Übernahme bereits im Januar mit einem Überraschungscoup versucht. Zunächst reagierte Aventis empört auf das Angebot und machte sich auf die Suche nach einer anderen Fusion. Der Schweizer Konzern Novartis war ihr Lieblingspartner. Doch nachdem Sanofi sein Übernahmeangebot von 48,5 Milliarden Euro um 14 Prozent auf nunmehr 55,3 Miliarden erhöhte, konnte Aventis nicht mehr widerstehen. Der „weiße Ritter“ Novartis aus der Schweiz, der zuvor im Hintergrund diskret mitgeboten hatte, stieg aus. „Der Druck der französischen Regierung war zu groß“, hieß es aus des Basler Zentrale.

Die meisten französischen Medien stellten die Fusion gestern als nationalen Erfolg da. Unter anderem, so die konservative Zeitung Le Figaro, verblieben damit wichtige Pharmalabore in Frankreich. Als Beleg für deren „strategische“ Bedeutung nannte das Blatt den hohen Bedarf an Impfstoffen gegen biochemische Gifte nach dem 11. September sowie den ebenfalls hohen Forschungs- und Entwicklungsbedarf angesichts von Gesundheitskatastrophen wie der Hühnergrippe.

Aufseiten der Beschäftigten herrscht jetzt große Sorge. In der Pharmabranche grassiert seit einigen Jahren die Fusionitis. Dabei sind unter anderem folgende Riesen entstanden: Sandoz-Ciba (1996), Astra-Zeneca (1999), Glaxo-Wellcome-Smith-Kline (2000) und Pfizer-Pharmacia-Corp (2003).

Mit der Bekämpfung von Krebs und Aids und mit anderen Fragen der öffentlichen Gesundheit haben diese Fusionen freilich nichts zu tun. Sie folgen vielmehr einer Börsenlogik und der Suche nach „Synergieeffekten“, was auf Deutsch so viel bedeutet wie „Kostensparungen“. Bei den jüngsten Pharmafusionen wurden jeweils rund 10 Prozent der Arbeitsplätze vernichtet. Im Falle Sanofi und Aventis könnte das den Verlust von bis zu 12.000 Arbeitsplätzen bedeuten.