50 Jahre lang kurze Filme

Die Kurzfilmtage in Oberhausen haben ein halbes Jahrhundert voller Anekdoten, Highlights und Merkwürdigkeiten hinter sich. Grund genug, noch einmal ins letzte Jahrtausend zu schauen

VON HOLGER ELFES

In Zeiten abnehmender Aufmerksamkeit beim Medienkonsumenten und immer kürzer werdender Informationshäppchen müsste der Kurzfilm eigentlich seine Renaissance feiern. Das tut er zwar nicht, aber immerhin feiern die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen in dieser und der nächsten Woche ihr 50. Jubiläum mit einem Rekordprogramm, so vielen Zuschauern wie noch nie und Retrospektiven vom Feinsten.

Zur feierlichen Eröffnung im Industriedenkmal Gasometer haben sich heute neben der Politprominenz auch Regisseure wie Wim Wenders und Sönke Wortmann angekündigt. Die beiden stehen stellvertretend für Generationen von internationalen Filmemachern, deren Karriere durch das älteste Kurzfilmfestival der Welt auf die eine oder andere Weise geprägt worden ist.

„Hier habe ich meine erste Zigarette geraucht und jahrelang jeden Film gesehen“, erinnert sich Wenders an die frühen Jahre. Diese Ereignisse seien den Entschluss Filme zu machen, wichtig gewesen.

In der damals noch staubgrauen Ruhrpottstadt zeigten Nachwuchstalente wie François Truffaut, Roman Polanski, István Szabó, Martin Scorsese, Werner Herzog oder George Lucas ihre ersten Arbeiten einem filmbegeisterten Publikum und den Talentsuchern der Produktionsfirmen. „Wir lebten damals, wenige Jahre nach dem Kriege, in einer Zeit, die politisch durch Restauration und kulturell durch Provinzialismus geprägt war“, erinnert sich Hilmar Hoffmann, der Gründer des Festivals. Vergangenheitsbewältigung und Kalter Krieg prägten das künstlerische Schaffen. Gegen die Abgrenzung und Isolation Deutschlands setzte Hoffmann das Motto “Weg zum Nachbarn“ für sein Festival. Das war nicht immer leicht. „Filme aus dem Osten in Deutschland zu zeigen, das gab es bis dahin nicht“, so Hoffmann. Trotzdem reisten die Festivalmacher nach Ungarn, in die CSSR, die DDR und die Sowjetunion, sichteten Filme und luden Regisseure ein. Zuvor mussten die Ostblockfilme aber noch den „Interministeriellen Ausschuss“ passieren, der prüfte, ob sie nicht etwa die „freiheitlich demokratische Grundordnung“ gefährden könnten. In den frühen 60er Jahren wurde in Oberhausen der Bruch mit dem eher flachen deutschen Nachkriegskino eingeläutet. Das so genannte Oberhausener Manifest von 1962 verkündete den Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen. Initiiert von jungen Filmemachern wie Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz forderte das Manifest „Freiheit von der Beeinflussung durch kommerzielle Partner“ und mehr künstlerischen Anspruch. „Der deutsche Autorenfilm ist damals geboren worden“, resümiert der heutige Festivalleiter Lars Henrik Gass diese Sternstunde des Festivals, die zugleich Anregung für den Aufbau eines gigantischen öffentlichen Fördersystems für den deutschen Kunstfilm war. Das aber in letzter Zeit immer wieder in Frage gestellt wird, weil seine Kehrseite häufig die Abkehr vom Publikumsinteresse ist.

Selbst konnte man den hoch geschraubten Ansprüchen auch nicht immer gerecht werden: Rainer Werner Faßbinder, die Ikone der deutschen Filmemacher konnte seinen Beitrag nicht im Wettbewerb unterbringen. Hellmuth Costard seinen Film „Besonders wertvoll“ hingegen schon. 1968 kam es darum zum Eklat, da die Ausstrahlung von den Behörden verboten wurde. Stein des Anstoßes war ein sprechender Penis im Film. Daraufhin zogen die deutschen Filmemacher und Filmemacherinnen demonstrativ aus und zeigten ihre Filme in diesem Jahr lieber in Bochum.

„Bis 1968/69 war das Festival, das damals noch ‚Kulturfilmtage‘ hieß, weltweit einzigartig“, sagt Lars Henrik Gass, der seit 1997 der mittlerweile sechste Leiter der Kurzfilmtage ist. Als Folge der Studentenbewegungen und der als „weicher Standortfaktor“ entdeckten Kultur, schossen die Filmfestivals wie Pilze aus dem Boden. Auf 1.500 weltweit schätzt Intendant Gass ihre Zahl, rund 70 davon in Deutschland. Auch bei Großveranstaltungen wie der Berlinale und in Cannes ist der Kurzfilm mittlerweile angekommen und selbst Hollywood verleiht in dieser Kategorie einen Oscar. Oberhausen reagierte darauf mit der Schärfung des eigenen Profils. Seit 1999 wird etwa ein Musikvideopreis für den besten Clip verliehen. Vor allem aber sind die Kurzfilmtage ein Marktplatz geworden, auf dem junge Talente ihre Werke an Verleiher und Fernsehsender verkaufen können. Die Kulturkanäle 3Sat und ARTE, die auch als Sponsoren der Veranstaltung auftreten, halten dem Kurzfilm ebenso wie manche Dritte Programme die Treue.

In einer Retrospektive mit über 100 Arbeiten schaut das Festival zurück auf seine Highlights aus fünf Jahrzehnten – fast jeder Film eine Rarität und ein Zeitdokument. Eine andere Rückschau gibt es auf TV-Monitoren an verschiedenen Orten in Oberhausen. Im Rathaus, im Theater, im Hauptbahnhof und in vielen Geschäften werden den ganzen Tag lang 25 repräsentative Filme zu sehen sein, darunter auch Arbeiten von Ulrich Schamoni, Alexander Kluge und Roman Polanski.