: Vorwärts, aber nicht vergessen
Die in Köln lebenden Türken sollen sich integrieren, sich aber auch als Botschafter ihres Heimatlandes verstehen, ermahnt der türkische Premier Erdogan die 1.500 „Deutschländer“ im Energy Dome
Von Özgür Demirel
Massive Polizeikontrollen mussten die rund 1.500 Kölner Türken über sich ergehen lassen, die am Dienstag Abend in den Energy Dome in Vogelsang gekommen waren, um den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu sehen. Türkische Organisationen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die ihre Mitglieder zum Besuch der Veranstaltung mobilisierten, hatten die Kölner Polizei mit einer Namensliste aller Gäste versorgt. Die konnte auf diese Weise die Personalien aller Besucher genauestens überprüfen.
Der guten Laune des Auditoriums tat dies offenbar keinen Abbruch. Als Erdogan gegen 18.30 Uhr die Halle betrat, jubelten ihm seine Anhänger mit Sprachchören à la „ Die Türkei ist stolz auf dich!“ zu. Bei den Kölner Türken der so genannten dritten Generation ist der türkische Ministerpräsident aber offenbar weniger beliebt. So bevölkerten vor allem Türken der ersten und zweiten Generation, die sich dem Heimatland immer noch verbunden fühlen, die Halle.
In seiner Rede ermunterte Erdogan sie dazu, sich zunächst und vor allem als Botschafter der Türkei anzusehen, denn die Türkei sei als Urlaubsland auch auf deutsche Touristen angewiesen. „Ihr müsst gute Beziehungen zu euren deutschen Nachbarn pflegen“, sagte Erdogan. „Ihr könnt sie zum Beispiel zum Essen einladen. So können sie durch euch die Türkei besser kennen lernen.“ Nur auf diese Weise könne die Türkei die Gegner des türkischen EU-Beitritts Schritt für Schritt eines Besseren belehren.
Auf der anderen Seite ermahnte Erdogan seine „Landsleute“ aber auch, sich zu integrieren. „Ihr lebt seit 40 Jahren hier. Ihr müsst eure Kinder gut erziehen. Sie müssen fließend Deutsch sprechen können. Es kann nicht angehen, dass nur 3.000 der 2,5 Millionen Türken in Deutschland studieren.“
Dennoch sollen die „Deutschländer“ ihre alte Heimat nicht vergessen, wenn es nach dem türkischen Regierungschef geht. Vor allem ihr Geld kann Erdogan gut gebrauchen. So rief er seine Zuhörer dazu auf, verstärkt in der Türkei zu investieren. Alle bürokratischen Hemmnisse, die Investitionen aus dem Ausland bislang erschwert hatten, seien inzwischen beseitigt worden.
Wenig sagte Erdogan dagegen zum Leben der ArbeitsmigrantInnen hier und ihren aus den türkischen Gesetzen resultierenden Problemen. So müssen in Deutschland lebende türkische Männer laut Gesetz nach wie vor ihren Wehrdienst in der Türkei leisten. Immerhin können sie ihn inzwischen auf zwei Monate – statt den sonst üblichen 18 Monaten – verkürzen, indem sie sich mit 7.000 Euro freikaufen.
Ein weiteres Thema, das den „Deutschländern“ in Köln seit Jahren auf der Seele brennt, ließ Erdogan ebenfalls außen vor: die Skandale um türkische Banken und Unternehmen, die angeblich von islamistischen Gruppierungen gegründet worden waren, und die hier lebende Türken um Millionen betrogen haben. Viele Deutsch-Türken steckten ihr Geld in türkische Unternehmen, die schon nach wenigen Jahren wieder Konkurs anmeldeten – allerdings erst nachdem die Führungskräfte dieser Aktiengesellschaften zum Teil Millionenbeträge in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten.
Eines der Opfer dieser Betrugsgeschäfte, Hanifi Dogan, wollte sich während der Veranstaltung an den Ministerpräsidenten wenden, um ihn um Hilfe zu bitten. Rund 550.000 Mark habe er durch den Betrug verloren, beklagte er. Jetzt wisse er nicht mehr weiter. Bis zu „seinem“ Regierungschef konnte er sich freilich nicht vorkämpfen. Schnell wurde er von den Sicherheitskräften abgedrängt.
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