Literaturpolitisches Gespräch mit AutorInnen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine
: Überlagerungen abgetragen

Man kann es auch freundlich formulieren: In Weißrussland ist die Zeit stehen geblieben. „Die Oppositon wird vom Ausland finanziert“ und „Tausende stehen hinter mir“ sind Parolen, die des Öfteren vom amtierenden Präsidenten Alexander Lukaschenko zu hören sind, und wenn er derzeit mit einer dritten Amtszeit liebäugelt, dann offiziell nur, „um die Macht nicht im Stich zu lassen“. Im Stich gelassen fühlen sich allerdings Oppositionelle – etliche Journalisten sind und waren amnesty international zufolge in Haft. Wer danach immer noch rebelliert, verschwindet – womöglich für immer.

Dass die EU-Osterweiterung und das politische Näherrücken des Westens daran etwas ändern, ist nicht zu erwarten. „Der schwere Weg zur Demokratie“ nennt sich daher ein im Rahmen der Europawoche veranstaltetes literaturpolitisches Gespräch in der Zentralbibliothek, zu dem AutorInnen aus drei künftigen EU-Nachbarstaaten geladen sind: die Russin Irina Powolotskaja, der Weißrusse Ales Rasanau sowie der Ukrainer Jurij Andruchowytsch.

Deren Viten spiegeln die politische Situation ihrer Herkunfsländer: Der 1937 in Moskau geborenen Regisseurin Powolotskaja etwa wurde 1977 ein Berufsverbot auferlegt, woraufhin sie zu schreiben begann. Ihr Genre sind Erzählungen, in denen sie die innere Zerrissenheit der Ex-Sowjetunion zum Thema macht. Powolotskaja beleuchtet deren kleinste Parzelle – die Familie – und folgt Spuren bis in die Peripherie nach Kirgisien, Georgien und Weißrussland; Sprache ihrer Figuren ist das verballhornte Russisch der nichtrussischen Sowjetvölker.

Sprache als Identifikationspotenzial ist auch Thema und Werkzeug des 1947 geborenen Weißrussen Ales Rasanau, der 1968 auf seinen Protest gegen die Russifizierungspolitik hin der Universität verwiesen wurde. In 25 Sprachen wurden seine Gedichte inzwischen übersetzt, und zum „Staatsfeind“ macht ihn vor allem die Tasache, dass er unbeirrt in seiner Muttersprache dichtet. Vizepräsident des weißrussischen PEN war Rasanau bis vor einigen Jahren, und auf Einladung des Internationalen Schriftstellerparlaments hat er 2001 für ein Jahr in Hannover gearbeitet und, vielleicht, Visionen für sein Land entwickelt; Einigkeit der bislang zerstrittenen Opposition dürfte dabei vorrangig sein.

Ungleich ungefährlicher stellt sich – politisch betrachtet – die Situation des 1960 geborenen Ukrainers Jurij Andruchowytsch dar: Gemeinsam mit seinem polnischen Freund Andrzej Stasiuk hat er die ukrainische Westgrenze bereist, die derzeit ganz real zur Festung mutiert. Mein Europa heißt der in Kürze erscheinende gemeinsame Essayband, der Geographie, Literatur und Geschichte zusammenbringt.

Europäische Vergangenheit aufzufächern, ohne das Chaos zu verschweigen haben sie sich gemüht, haben architektonische Spuren gesichert und deren Überlagerungen abgetragen. Die Ukraine sei „ein Land, aus dem weggeht, wer kann“, stellt Andruchowytsch fest – und bleibt. Er analysiert, was ist und sieht scharf, dass Landschafts- und Häuserformationen Menschen prägen – auch ihn. Partei ergreift er dabei nicht: weder für samariterhafte Grenzüberwinder noch für die neue Abgrenzung, die mit der Diskussion um die Sicherheit der künftigen EU-Außengrenze einhergeht. Und so schafft er es, dezenter Beobachter zu sein und Neues über ein Land zu erzählen, dessen Jugend sich ganz selbstverständlich als europäisch empfindet.

Petra Schellen

Di, 4.5., 20 Uhr, Zentralbibliothek, Hühnerposten 1