Die Wahlverwandtschaften

Was hat Rainer Werner Fassbinder dem Theater von heute noch zu sagen? In seiner Fassbinder-Werkstatt hat das bat-Studiotheater der Relevanz des Kino-Provokateurs nachgespürt

von PATRICK BATARILO

Da steht er, mit Lederjacke, offenem Hemd, die qualmende Zigarette in der Hand: Rainer Werner Fassbinder, Enfant terrible der Siebzigerjahre, Herz und Motor des Neuen Deutschen Films. So besserwisserisch wie eh und je erklärt er die Welt und die eigenen Perversionen. Dann gibt er kleinlaut zu: „Was ich sage, ist das Dokument einer Zeit, von der ich nicht mehr weiß, ob es sie gegeben hat.“ Damit endet der erste – fiktive – Monolog in Simone Eisenrings Beitrag zur Fassbinder-Werkstatt des bat-Theaters. Fassbinder ist wieder da, zumindest auf der Bühne. Nur: Hat er da wirklich noch was verloren, dieses Geschöpf einer Zeit, die so weit entfernt scheint?

Das Ergebnis der Fassbinder-Werkstatt, die Qualität und Vielfalt der Arbeiten ist erstaunlich. Erstaunlich, weil die StudentInnen nur über sechs Wochen gemeinsame Probenzeit und ein sehr geringes Budget verfügten. Erstaunlicher noch, weil Fassbinder, im kollektiven Gedächtnis fast nur noch als Skandalmythos lebendig, dem Theaternachwuchs von heute offenbar noch einiges zu sagen hat. Wobei ihm die Rolle zukommt, die er schon immer am liebsten spielte: die des Provokateurs.

Die vier Inszenierungen, die RegiestudentInnen der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch bis zum 22. Juni im bat-Theater zeigen, sind das erste größere, nichtinterne Projekt der StudentInnen. Konfrontiert mit Fassbinder, arbeiteten sie dabei jeweils unterschiedliche Aspekte im Verhältnis zu Werk und Epoche des Autors heraus.

Simone Eisenring stieß gleich zu Beginn auf einen Widerspruch: den zwischen Fassbinders Anspruch, in seinem Werk die Unterdrückung der Frauen in der Gesellschaft herauszuarbeiten, und seinem eigenen Umgang mit den Frauen in seinem Umfeld. So ist auch Eisenrings Inszenierung von der Gegenüberstellung von Biografie und Werk bestimmt: Passagen aus Interviews mit „Fassbinderfrauen“ wie Ingrid Caven sind geschnitten mit Szenen aus dem Skandalstück „Die Stadt, der Müll und der Tod“. Als Ausgangspunkt der Auseinandersetzung mit dem politischen Anspruch des Theaters der 70er erweist sich dabei die Frage der persönlichen Glaubwürdigkeit. Weniger wichtig ist Eisenring die Frage des sozialen Unterbaus: Das Milieu der Stadt, bei Fassbinder noch zentral, rückt in den Hintergrund. Das ist schade, weil es Fassbinder damit einer wesentlichen Dimension beraubt.

Die Ambivalenzen werden von den StudentInnen aber nicht nur zwischen Stück und Autor gefunden, sondern auch im Verhältnis zur Epoche und ihrem Politik- und Kunstverständnis. So berichtet Sebastian Schug, dass ihn die aggressive Energie der Fassbinder’schen Bearbeitung von Goethes „Iphigenie auf Tauris“, einem Agit-Stück aus der Frühzeit des Autors, zugleich fasziniert und abgestoßen habe: Einer gewissen Nostalgie angesichts der Möglichkeit eines so eindeutigen politischen Standpunkts steht das sichere Gefühl gegenüber, „dass so etwas eben nicht mehr möglich sei“. Ein solches Verhältnis zu den 68ern gehört sicher zu den Grundprämissen nicht erst der jüngsten Regiegeneration.

Die Lösung, die Schug findet, ist dennoch originell: Der Fassbinder’schen „Entlarvung“ der latenten Machtverhältnisse des Stücks stellt er Sprache und Humanitätsanspruch des Goethe’schen Originals gegenüber. Dabei erweist sich, dass die Texte den Vergleich bestehen. In der Inszenierung mischt sich zwischen die Diskurse der beiden Meisterautoren ein totes Reh. Man kann darin die Repräsentation des vom Stück geforderten Opfers sehen; vielleicht drückt sich in ihm aber auch in der Suche nach einem eigenen Standpunkt ein Beharren auf der Materialität des „Fleisches“ gegenüber den rein semiotischen Interpretationsversuchen Fassbinders und Goethes aus.

Vieles von dem, was Fassbinder antrieb, scheint von den jungen RegisseurInnen nur noch gebrochen erfassbar und in der Gegenwart darstellbar zu sein. Anderes würde man wohl gerne übernehmen, kann es aber nicht: So die Versuche Fassbinders, sich in seiner Theatertruppe eine neue Wahlfamilie zu schaffen. In der von Rotstift und Zersplitterung bedrohten Theaterlandschaft, welche die StudentInnen vor sich sehen, scheint so etwas kaum noch denkbar. Doch so lange es das bat-Theater noch gibt, können sie zumindest vier Jahre lang kontinuierlich arbeiten.

bat-Thater, Belforter Str. 15, Prenzlauer Berg. Programm: www.bat-berlin.de