Fetisch des Mannes

DAS SCHLAGLOCH    von VIOLA ROGGENKAMP

Wie mag das Kopftuch auf Schülerinnen wirken? Anders jedenfalls als auf Schüler

So kommt es zur symbolischen Überbetonung der oberen Körperhälfte, nachdem das Interesse für die untere verdrängt wurde. Sándor Ferenczi, Psychoanalytiker, 1913

Nicht mehr viel Zeit bleibt den Richterinnen und Richtern des Bundesverfassungsgerichts, um nachzudenken, um zu entscheiden. Für ein Kopftuchverbot oder für ein Kopftuch? Ich bin dagegen, ich bin überhaupt dagegen, dass in diesem Zusammenhang nur über Religionsfreiheit gesprochen wird.

Ich sehe die deutschen Richterinnen und Richter vor mir, wie sie miteinander diskutieren. Wie viele Frauen sind eigentlich im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts? Seit wann sitzt da überhaupt eine Frau und darf mitreden und urteilen? In der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gar so lange. Und da steht nun eine Frau vor ihr, Haar und Gesicht mit einem Tuch stoffreich umhüllt, und bittet darum, das Zeichen weiblicher Unterdrückung, das Kopftuch, den Schleier, als Lehrerin an deutschen Schulen tragen zu dürfen.

Wie mag das auf Schülerinnen wirken? Anders jedenfalls als auf Schüler. Wie mag das auf ihre Kolleginnen wirken? Anders als auf ihre Kollegen. Und wie mag das erst wirken, wenn das Bundesverfassungsgericht es genehmigt? Darüber nachzudenken, wird der Richterin andere Gefühle machen als den Herren Richtern rechts und links von ihr. Wenn sie mit den Männern zusammensitzt und die das Wort Kopftuch zum achten Mal ausgesprochen haben und dabei auf sie sehen, wie sie beiläufig ihr Haar schüttelt, daran will sie beser gar nicht denken. Und sie trägt eine Richterrobe, und bevor sie sich zu dem auserwählten Kreis zählen durfte, war dies ein rein männliches Gewand. Sollte dazu eine Kopfbedeckung gehören, dann ist auch die Teil des männlichen Gewandes. Der Hut des Mannes ist schon immer Zeichen seiner Freiheit und Macht gewesen, und behält er ihn einfach auf dem Kopf, ist es Ausdruck noch größerer Freiheit.

Ute Sacksofsky, Professorin für Öffentliches Recht und Rechtsvergleichung an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, fragte in der Frankfurter Rundschau: „Wären das Habit der Nonne, die Kutte eines Mönches oder die Kipa eines Juden genauso aus der Schule zu verbannen wie das islamische Kopftuch? Diejenigen, die ins Zögern kommen, müssen sich fragen, ob es letztlich nicht allein um die Abwehr einer bestimmten Religion, des Islam, oder noch allgemeiner um die Abwehr einer fremden Kultur geht.“

Gut gefragt! Es geht um Abwehr. Aber was wird abgewehrt? Die fremde Religion? Der Islam hat keine Probleme, sich in Deutschland zu etablieren. Es gibt sogar Übertritte deutsch-christlicher Frauen und Männer zum Islam. Abwehr einer fremden Kultur? Abwehr ja, aber die Kultur, die hier abgewehrt würde, ist gar nicht fremd, und eine Frau von heute sollte weder verschleiern noch sich genieren, daran zu erinnern, dass ihr da etwas bekannt vorkommt, etwas von vorgestern.

Wie nah doch die schambesetzte Diskriminierung der Mütter, Groß- und Urgroßmütter noch ist. Die Kopfbedeckung der Frau, ob Schleier, Kopftuch oder Haube, war schon immer Zeichen dafür, dass sie einem Mann gehörte, und zwar mit ihrem Körper, ihrer Arbeitskraft und ihrem materiellen Eigentum. Dieses tradierte Wissen um die Bedeutung des verhüllten Kopfhaares der Frau ist gesellschaftlich seit Generationen verinnerlicht und in das Unbewusste von Wahrnehmung eingeschrieben.

Knoten sich heutzutage einige kopftuchtragende Ledermänner den Lappen im Nacken, dann nicht wie eine Hausfrau, sondern wie ein seeräubernder Pirat. Und wenn sich eine junge Frau zu Jeans und bauchnabelfreiem Top auch mal so etwas um den Kopf bindet, dann akkurat wie der Pirat, auf keinen Fall wie Mutti oder die Magd des Herrn, und heikel bleibt das Kopftuch dennoch auf dem Mädchenscheitel.

Ich sehe sie vor mir, die deutschen Richterinnen und Richter. Dem Alter nach sind sie Töchter und Söhne von Eltern aus der Nazizeit. Jetzt aber tolerant sein! Ein Jude mit der Kipa auf dem Kopf in einer deutschen Schule als Mathematiklehrer? Oder besser noch als Geschichtslehrer? Was die männliche Kopfbedeckung angeht: siehe oben. Meinetwegen könnte da auch ein Mönch stehen. Erinnert er in seiner wallenden Kutte nicht an den Papst im kleidsamen Prachtgewand? Aber die Nonne eben nicht und eine orthodoxe Jüdin mit Perücke oder selbst gehäkelter Wollmütze auf dem Kopf eben auch nicht. Vielleicht gehört nicht einmal der Religionsunterricht in die staatliche Schule, sondern in die Kirche, in die Synagoge, in die Moschee, in den Tempel.

Die Verhüllung der Kopfhaare der Frau trägt in sich das Symbol der bedeckten weiblichen Scham. Haupthaar und Behaarung der Vulva sind symbolisch darin gleichgesetzt. Der Anwalt der klagenden Muslimin erklärte dem Gericht, seine Mandantin trage das Kopftuch, „um ihre Blöße zu verdecken“. Müsste sie „ihr Haar zeigen, würde sie sich schämen“. Hier wird eine Ungetrenntheit deutlich zwischen Symbolik und empfundener Wirklichkeit, die auf etwas verweist, was man auch als Fetischismus bezeichnen könnte: Die verhüllte Frau – der Fetisch des Mannes. Die so fetischisierte Frau, hat sie ihre Bedeutung für den Mann als ihre ganz besondere Position verinnerlicht, wird sich heilig und rein fühlen.

Die Schriftstellerin und Islam-Kritikerin Taslima Nasrin, die von islamistischen Fanatikern mit dem Tod bedroht wird und aus Bangladesch vertrieben wurde, musste sich in einem Streitgespräch um das Kopftuch von drei im laizistischen Frankreich lebenden orthodoxen Musliminnen anhören: „Uns dreien ist unser Körper heilig, und unsere Haare sind kostbar. Wenn Ihr Körper für Sie keinen unschätzbaren Wert hat, haben Sie das Recht, damit zu machen, was Sie wollen. Aber für uns ist unser Körper wertvoller als die Mona Lisa! Und das ist für uns ein Zeichen der Überlegenheit.“

Unserem öden Sündenbabel stellt sich nun die kopftuch-umschleierte Muslimin entgegen

Trägt Mona Lisa nicht auch einen Kopfschleier? Ach, es könnte uns egal sein, wäre die Gleichberechtigung der Frau in der westlichen Welt eine gesicherte Sache. Ist sie aber nicht. Es könnte uns egal sein, wäre die Demokratie ein gesicherter Zustand. Ist sie nie. Darum sollte man misstrauisch sein gegenüber dem Verlangen orthodoxer Musliminnen, mit dem Kopftuch als Symbol und Wirklichkeit im demokratischen Staat Teil seiner Repräsentanz werden zu wollen.

Wir leben in einer Kultur, in der die nackte Frau zum allgemeinen Konsum gehört wie die Plastiktüte zum Supermarkt. Schön ist das nicht. Ich gehe ins Kino, und bevor der Hauptfilm beginnt, werde ich dreißig Minuten lang überflutet von sadomasochistischen Schnellschüssen, quadrophonisch unterlegt, nur weil jemand für sein Bier und seine Turnschuhe werben will. Allmählich wird nichts so monoton und ermüdend wie die plakatierte Nacktheit und Knackigkeit. Fit for fun for sex for fun etc. In diesem Kreislauf wird die menschliche Würde aufgerieben, inzwischen nicht mehr allein die von Frauen.

Unserem öden Sündenbabel stellt sich nun die kopftuchumschleierte Muslimin entgegen. Eine Mater Morgana der reinen, der hohen Frau. Auch in den Visionen nationalsozialistischer und stalinistischer Kunst können wir ihr begegnen. Wollen wir das?