Aufrüsten lernen von „Old Europe“

Studie des Internationalen Friedensforschungs-Instituts: Erstmals exportierten die Staaten der EU mehr Waffen in die Welt als die USA. EADS will größerer Kriegsgeräte-Bauer werden als Boeing. Weltspitze bleibt allerdings Russland

BERLIN taz ■ Jetzt kann Amerika auch hier von „Old Europe“ lernen: Erstmals exportierten die Staaten der EU mehr Waffen in die Welt als die USA. Nach einer Untersuchung des Stockholmer Internationalen Friedensforschungs-Instituts (Sipri) beglückten die Europäer im letzten Jahr die Welt mit Kriegsmaterial im Wert von rund 4,7 Milliarden Dollar. Die US-Exporte betrugen dagegen nur knapp 4,4 Milliarden Dollar. Zählt man Spitzenreiter Russland (6,9 Milliarden Dollar) – ja auch „Old Europe“ – noch dazu, könnte man meinen: Die Kriegsnation Nummer 1 hat den Anschluss verloren. Fast zwei Drittel der 2004 exportierten Waffen stammen aus der EU und Russland. Die USA brachten es gerade mal auf 23,5 Prozent.

Der Rückgang der US-Waffenverkäufe sei vermutlich vorübergehend, sagte der Sipri-Rüstungsexperte Siemon Wezeman der Frankfurter Rundschau. „In den kommenden Jahren werden sich große Aufträge vor allem für Kriegsflugzeuge, die in den vergangenen Jahren getätigt wurden, in der Statistik niederschlagen.“ Das Institut gibt seit 34 Jahren einen Jahresbericht heraus, der sowohl einen Überblick über die militärischen Konflikte der Welt gibt als auch über die Kriegsindustrie informiert. Für mindestens 784 Milliarden Dollar wurden 2003 Waffen gekauft – 15 Prozent mehr als im Vorjahr. 2002 betrug die weltweite Entwicklungshilfe nach Weltbankangaben 70 Milliarden Dollar.

Mehr als 80 Prozent der Exporte aus der EU stammen aus Frankreich, Deutschland und Großbritannien. Allerdings: Siemon Wezeman rät, die Zahlen mit Vorsicht zu genießen. Viele Staaten verschleierten ihre Geschäfte, andere operierten mit unterschiedlichen Zahlen. Belastbar jedenfalls sind die Umsatzzahlen 2003 der größten Waffenschmieden. Unter den zehn umsatzstärksten Konzernen sind sechs Firmen aus den USA. Mit Lockheed Martin (23,3 Milliarden Dollar), Boeing (22 Milliarden) und Raytheon (15,3 Milliarden) führen drei US-Firmen die Liste an. Die britische Firma BAE Systems (15 Milliarden) folgt auf Platz 4 – Thales aus Frankreich mit 7,7 Milliarden auf Platz 7, dahinter das EU-Unternehmen EADS. Größte Deutsche Firma ist Rheinmetall (1,8 Milliarden Dollar) auf Platz 21.

Allerdings wollen die Europäer auch hier die Weltordnung ändern. „Wir wollen in zehn Jahren die Nummer eins sein in allen Bereichen“, kündigte EADS-Chef Rainer Hertrich am Montag an. Im Rüstungsgeschäft sei EADS nach „spektakulären Erfolgen“ auf Kurs gegen die Amerikaner, die den Bereich „bislang“ dominieren. Wichtigste Abnehmer für russisches Tötungsgerät sind Indien und China.

Allerdings sind die Europäer selbst schuld, dass Russland Chinas wichtigster Handelspartner für Tötungsgerät ist: Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 verhängte die EU ein Waffenembargo. Das lässt sich zwar umgehen – etwa indem Lieferungen als „Zubehör“ für bestehende Waffensysteme deklariert werden. Aber damit lassen sich allenfalls Kleckerbeträge umsetzen. Vor allem Frankreich drängt deshalb darauf, das Embargo endlich aufzuheben. NICK REIMER

www.sipri.org