Auf dem Rückzug mit Hintergedanken

China will sich nicht in die deutsche Atomdebatte einmischen und sagt deshalb den Hanau-Deal ab. Erst einmal. Eine Wiederaufbereitungsanlage wird ohnehin erst 2020 gebraucht. So ist die langfristige Kooperation weiterhin erwünscht

AUS PEKING GEORG BLUME

China hat Zeit. Das ist die Botschaft, die das Pekinger Außenministerium und betroffene Industriekreise denjenigen erteilen, die heute schon glauben, der Hanau-Deal mit der Volksrepublik sei für immer geplatzt. „Das glaube ich nicht“, lautete gestern die schlichte Antwort eines Pekinger Diplomaten, den die taz um eine Bestätigung der Nachricht bat, wonach China nicht mehr am Kauf der Hanauer Plutoniumfabrik interessiert sei.

Das Pekinger Außenministerium legt großen Wert darauf, dass in Deutschland die vollständige Aussage seines Sprechers Kong Quan vom Dienstag beachtet wird. Der hatte nicht nur behauptet, die Kontakte zwischen den am Hanau-Geschäft beteiligten Firmen, also zwischen Siemens und der chinesischen AKW-Betreibergesellschaft China National Nuclear Corporation (CNNC), seien eingestellt. Sondern er hatte auch hinzugefügt: „Die Kontakte können wieder aufgenommen werden.“

Allerdings will Peking das Thema nun möglichst niedrig hängen. Manch einer in der chinesischen Regierung ist sogar froh, dass die Hanau-Diskussion in Deutschland „innenpolitisch und nicht gegen China gerichtet“ geführt wurde. „Natürlich muss China auf die deutsche Innenpolitik Rücksicht nehmen“, kommentiert Jia Qingguo, Vize-Dekan der renommierten Peking-Universität und Leiter des dortigen Instituts für Internationale Studien. Jia deutet an, dass die in Deutschland während der letzten Monate aufgetauchte Kritik am Hanau-Export in China unterschätzt wurde. „Bei uns gelten Atomkraftwerke als umweltfreundliche Energielösung. Die ganze Debatte um Wiederaufarbeitung und Atommüll ist in China noch nicht angekommen“, erklärt der Professor. Doch ändert das nach Jias Auffassung nichts an Chinas langfristiger Energiepolitik: „Unsere Wasserenergiereserven gehen zur Neige und die Kohleverbrennung schadet der Umwelt mehr als alles andere“, sagt Jia. Deshalb werde China um einen Ausbau der Atomenergie nicht herumkommen.

So sieht es auch die Industrie. Langsam, aber stetig werde die bislang unterentwickelte Atombranche zulegen. Für den Aufbau einer Plutoniumfabrik in China sei aber keine Eile geboten. Erst im Jahr 2020, so sagen Branchen-Insider, plane Peking die Inbetriebnahme einer eigenen Wiederaufarbeitungsanlage für AKW-Brennstoffe. Erst dann würde auch der Betrieb einer Fabrik wie in Hanau Sinn haben. So sei es vorrangig auf einen personellen Wechsel an der Spitze von CNNC zurückzuführen, dass Peking in letzter Zeit verstärkt auf den Export der Fabrik gedrängt habe. Der im vergangenen Herbst ausgeschiedene CNNC-Präsident Li Dingfang sei ein Hanau-Fan gewesen, dem zum Abschied versprochen wurde, das Thema in die Gespräche zwischen den Regierungschefs einzubringen. Als Schröder dann bei seinem Besuch in Peking im Dezember prompt zustimmte, erschien das Geschäft für die chinesische Seite perfekt. Sie hatten sich zu früh gefreut.

Doch will China in den nächsten Jahren seine Wiederaufarbeitungspläne auf eine „zivilrechtliche Grundlage“ stellen. Bisher unterhält das Land nur eine kleine Wiederaufarbeitungsanlage für vorrangig militärische Zwecke in dem Wüstenort Diwopu nahe der Grenze zur Mongolei. Nun soll ein neuer Standort für die zivilen Zwecke gefunden werden. Dann könnte es für die Befürworter des Hanau-Exports leichter werden, eine militärische Nutzung auszuschließen.

Auch auf den außenpolitischen Rahmen kommt es an: „China benötigt weitere Anreize für eine Teilnahme am Nicht-Weiterverbreitungsvertrag für Atomwaffen“, gibt Institutsleiter Jia zu bedenken. Dafür sei der Hanau-Export ideal. Er belege das Vertrauen des Westens, dass China eine auch militärisch nutzbare Technologie nicht missbraucht. Doch ist das alles Zukunftsmusik. Erst einmal gilt in Peking das Einsehen, sich lieber nicht in die deutsche Atomenergiedebatte einzumischen.