Maienhafte Symbolik

Der große Chronist der Arbeiterbewegung, Eric Hobsbawm, formulierte zum Feiertag der Arbeiterbewegung: Der 1. Mai „ist die vielleicht einzige unzweifelhafte Spur, die eine säkulare Bewegung im christlichen oder einem anderen offiziellen Kalender hinterlassen hat, ein Feiertag, der nicht in ein oder zwei Ländern, sondern 1990 offiziell in 107 Staaten eingehalten wird. Zudem ist es ein Feiertag, der nicht von Regierungen oder Eroberern oktroyiert wurde, sondern die Errungenschaft einer völlig inoffiziellen Bewegung armer Männer und Frauen ist.

Das Außerordentliche an der Entwicklung dieser Institution ist die Tatsache, dass sie unbeabsichtigt und ungeplant war. [In der Resolution des Pariser Sozialistenkongresses von 1889 hieß es] erstens, es sollte zu einer einmaligen internationalen Kundgebung aufgerufen werden. Es wurde nicht vorgeschlagen, sie zu wiederholen, geschweige denn, sie zu einem regelmäßigen jährlichen Ereignis zu machen. Zweitens, es wurde nicht vorgeschlagen, den Anlass besonders feierlich oder festlich zu begehen […]. Drittens gibt es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass diese Resolution damals als besonders wichtig erachtet worden wäre.

Der erste Maifeiertag fiel mit einer triumphalen Stärkung der Macht und des Selbstvertrauens der Arbeiterbewegung in zahlreichen Ländern zusammen. Um nur zwei Beispiele zu nennen: der jähe Aufschwung des New Unionism in Großbritannien und der Sieg der Sozialisten in Deutschland, wo sich der Reichstag im Januar 1890 weigerte, Bismarcks Sozialistengesetz zu verlängern.

Wie entstand sie [die Tradition]? Anfangs spielte sicher die Wahl des Datums eine entscheidende Rolle. Frühlingsfeiertage sind als Teil des rituellen Kreislaufs des Jahres auf der gemäßigten nördlichen Hemisphäre fest verwurzelt, und der Monat Mai selbst versinnbildlicht die Erneuerung der Natur. […]

Natürlich schien die Analogie zu Ostern beziehungsweise Pfingsten ebenso offensichtlich wie die zu den volkstümlichen Frühlingsfesten. Die Ikonografie des Maifeiertags, die sehr schnell ihre eigene Bildsprache und Symbolik entwickelte, ist vollkommen zukunftsorientiert. Was die Zukunft bringen würde, war keineswegs klar, nur, dass sie gut sein und zwangsläufig kommen würde.“ (aus: „Die Geburt eines Feiertags: Der Erste Mai“, in: Hobsbawm: „Ungewöhnliche Menschen“. Hanser, München/Wien 1998)

ROBERT MISIK