„Eine kulturelle Klebekraft“

Für die Mitarbeiter des Vereins Buntekuh wirkt das Formen mit dem Urbaustoff Lehm in vielerlei Hinsicht konstruktiv – so entstand im Lütgens-Park ein ungewöhnlicher Spielplatz

von CHRISTINE KEILHOLZ

Lehmbauerde war einer der frühesten und wichtigsten Baustoffe der Welt. Die ersten geschlossenen Siedlungen errichtete der Mensch in Lehm. Die Vorzüge des Werkstoffs, der lange Zeit als Arme-Leute-spezifisch galt, liegen auf der Hand: Lehm ist allerorten, energiesparend und für die Gesundheit unbedenklich. Immer wieder in Zeiten der Armut und Energieknappheit erinnerte sich der Mensch der Vorteile des Lehms.

„Der ideale Grundstoff zum Entfalten kreativer Energien“, sagt Nepomuk Derksen. Er und die Mitarbeiter vom Verein Buntekuh haben in den vergangenen Wochen in Altona eine kleine Welt aus Lehm geformt. Der Verein erschließt neue Arbeitsbereiche für bildende Künstler im Bereich Architekturpädagogik und Stadtteilkultur. In Zusammenarbeit mit Kindern – hauptsächlich geistig und körperlich behinderten – entstand im August-Lütgens-Park an der Hospitalstraße eine beeindruckend bizarre Stadtlandschaft aus den Grundelementen Erde, Wasser und Stroh: Begehbare Räume und Skulpturen mit bis zu vier Metern Raumhöhe, Kuppeln, Türme, Labyrinthe. Hier konstruierten die Besucher mit fachlicher und pädagogischer Betreuung und viel Phantasie eine Welt unter einem Zeltdach.

„Architektur hat die Aufgabe, Heimat zu schaffen – Orte, an denen sich Menschen zu Hause fühlen“, erklärt Derksen und weist darauf hin, dass Heimat auch bedeuten sollte, die Umgebung richtig wahrzunehmen und nach eigenen Vorstellungen verändern zu können.

Ein Anspruch, der im urbanen Wohnungsbau nur begrenzt Entsprechung findet. An sozialen Brennpunkten der Großstadt wird die Tristesse der gestalterischen Vereinheitlichung besonders deutlich. „Die dort oft herrschenden große materielle Not“, so Derksen weiter, „die kulturelle Entwurzelung vieler Bewohner und die massenhafte Vereinsamung wirken gerade auf Kinder und Jugendliche entmutigend und radikalisierend“.

Die vom Verein entwickelten Baukunstaktionen, wie die im Lütgens-Park, sollen Kindern ihre kreativen Fähigkeiten bewusst machen. Ziel ist, das Bauen mit natürlichen Materialien zu einer sinnlichen Erfahrung und Architektur wieder als soziale Kunst erlebbar zu machen. „Einen Weg zur Ausbildung von Identität und Gesellschaft“ soll sich nach Worten Derksens den Kindern eröffnen, wenn sie durch die Lehmlandschaft tollen.

Vorbildhaft für die Künstler vom Verein Buntekuh waren die Bautechniken afrikanischer Kulturen. Was dort der Mensch formte, wurde durch die Sonne gebrannt und gefestigt. Die Erbauer der frühen arabischen Metropolen führten auch Formgebung und Verzierung zur Perfektion. Noch bis zum Sonntag sind die Werke im August-Lütgens-Park in Altona zu bestaunen und zu bespielen. Konzept und Leitung der beispiellosen Bauaktion übernahm Nepomuk Derksen.

Er und sein Verein haben zur Ausgestaltung des Stadtgebietes und zur Verbesserung sozialer Kommunikation durch den Wunderbaustoff Lehm noch einiges vor. „Im Rahmen eines lokalen Neztwerkes rund um den Bahnhof Altona planen wir regelmäßige Lehmbauaktionen.“ So sollen Spielplätze entstehen, deren Attraktivität zwar vergänglich, aber intensiv ist.

Das Bauen mit Dreck und Matsch ist im frühen Entwicklungsstadium eine menschliche Grunderfahrung. Dies zusammen mit den zahlreichen Vorteilen der Lehmarchitektur, erzeuge Sozialverträglichkeit, sagt Derksen und bescheinigt dem Baustoff eine „soziale und kulturelle Klebekraft“.