Wegweiser im Wald

1.000 ausländische Studierende kommen Jahr für Jahr an die Universität Göttingen. StudentInnen vom „Gretel-Service“ helfen ihnen ehrenamtlich, sich im Dickicht der Stadt zurechtzufinden

taz ■ Hänsel und Gretel tapsten orientierungslos durch den finstren und bitterkalten Wald. Ausländische Studierende, die am Göttinger Bahnhof ankommen, könnten schnell an eines der berühmtesten Märchen der Gebrüder Grimm, ehemalige Professores an der Universität der Stadt, erinnert werden. Denn auch sie müssen sich in einer völlig unbekannten Umgebung zurecht finden. Damit ihnen dass nicht allzu schwer fällt, hat das Internationale Büro der Hochschule einen Abholdienst eingerichtet, dessen Name auf der Hand liegt: den „Gretel-Service“.

Alle kennen die Grimms

„Keiner soll sich im Göttinger Wald verlaufen“, stellt die Gründerin des Gretel-Services, Roswitha Brinkmann, augenzwinkernd fest. 1996 hat die Leiterin des Internationalen Büros der südniedersächsischen Hochschule das Projekt auf den Weg gebracht. Seitdem hat sie erstaunt festgestellt, dass das Märchen der Gebrüder Grimm einen unheimlich hohen Bekanntheitsgrad in der Welt besitzt. Deshalb wüssten die vielen Neuankömmlinge auch sofort, worum es sich bei dem „Gretel-Service“ handle. Dass der Abholdienst so erfolgreich ist, ist auch dem großen Engagement vieler Göttinger Studierender zu verdanken. Brinkmann hebt ausdrücklich deren Teilnahmebereitschaft hervor: „Die Eigeninitiative der Leute ist im höchsten Maße vorhanden.“

Der hilfreiche Gretel-Tutor

Damit meint sie einen Pool von 70 bis 100 StudentInnen, die sich ehrenamtlich dazu bereit erklärt haben, zu jeder Tages- und Nachtzeit die Ankömmlinge aus den verschiedensten Nationen abzuholen. Meist sind es Studierende, die selbst eine Zeit lang im Ausland gelebt haben und deshalb sehr gut wissen, wie mühselig vor allen Dingen die erste Zeit in der neuen Umgebung sein kann.

Steffen Hinze ist einer dieser Gretel-Tutoren. Er selbst hat vor seinem Studium eine Zeit lang in Guatemala und den USA verbracht. „Die ausländischen Studierenden, die hier neu ankommen, bringe ich zu ihren Wohnheimen oder WGs und zeige ihnen auch die Stadt. Außerdem bin ich immer ein Ansprechpartner für sie.“

Der 25-jährige Student profitiert durchaus auch selbst von seiner Tätigkeit. „Ich spreche spanisch und möchte das aufrecht erhalten. Als Gretel-Tutor kann ich dafür Kontakte knüpfen.“ Und dabei könne man zusätzlich die ganze Welt in Göttingen kennen lernen.

Auch die Ankommenden selbst sind angetan vom „Gretel-Service“. „Das Feedback ist toll, die eintreffenden Studierenden fühlen sich gut an die Hand genommen“, bestätigt Christiane Seack, die federführende Organisatorin des Dienstes. Stolz kann Seack auch darauf verweisen, dass einige der Tutoren sogar japanisch sprechen.

Vor allem Erasmus-Studis

Noch werden vornehmlich Erasmus-Studenten vom „Gretel-Service“ abgeholt. Durch dieses von der EU geförderte Austauschprogramm zwischen unzähligen europäischen Universitäten lernen pro Jahr ungefähr 300 ausländische Studierende die südniedersächsische Stadt kennen.

„Erasmus ist ein unkompliziertes Austauschprogramm“, findet Steffen Hinze und hebt hervor, dass es gerade den StudentInnen vieler osteuropäischer Hochschulen Möglichkeiten biete, die sie sonst nicht hätten. Insgesamt sind es fast 1.000 internationale Hochschüler, die jährlich an die Georgia-Augusta Universität kommen.

Deshalb hofft Roswitha Brinkmann, denn Gretel-Service langsam ausdehnen zu können. Denn die „schöne Geste“, wie die Leiterin des Internationalen Büros es beschreibt, soll möglichst vielen entgegengebracht werden. Immerhin habe der Studienort Göttingen gegenüber anderen Universitätsstädten auch einige Dinge zu kompensieren. „Bei manchen scheint das ganze Jahr die Sonne, dass können wir hier nicht bieten.“Holger Schleper

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