Schweigsame Esmeralda

In Bremerhaven liegt ein Schulungsschiff der chilenischen Marine vor Anker. In diesem Schiff wurden über 100 Menschen gefoltert

„Die ‚Esmeralda‘war eine schwimmende Folterkammer“

taz ■ Da stehen sie kerzengerade aufgereiht an der Reling und singen spanische Seemannslieder. Pauke, Posaune und Trompete spielen dazu Marschmusik. Nur einige wenige Matrosen arbeiten jetzt, vertäuen schwere Seile am Anleger. Unten warten ein paar dutzend klatschende Rentner, verfolgen aufmerksam, wie das Schiff am Pier anlegt.

Seit Dienstagabend liegt die „Esmeralda“ in Bremerhaven vor Anker, ein Schulungsschiff der chilenischen Marine. Die bildet auf dem Viermast-Segler ihren Nachwuchs aus. Derzeit ist die „Esmeralda“ auf großer Fahrt: Südamerika, Frankreich, jetzt für sechs Tage Bremerhaven. Bis einschließlich Sonntag ist das Schiff dort zu besichtigen. Anschließend geht es weiter nach Lübeck, nach London und im Oktober wieder nach Hause.

Eigentlich sollte die Reise länger dauern. Der Trip wurde spontan abgespeckt. Ursprünglich sollte der Segler auch die Niederlande und Schweden ansteuern. Daraus wird nichts. Denn die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) hat in diesen Ländern massive Proteste gegen die Reise der „Esmeralda“ angekündigt. Es geht um die Funktion des Schiffs zur Zeit der Pinochet-Diktatur in Chile. „Auch wir werden demonstrieren“, sagt Brigitte Paschen von AI-Bremerhaven. „Die ‚Esmeralda‘ war eine schwimmende Folterkammer. 1973, kurz nach der Machtübernahme von Pinochet, sind auf dem Schiff über 100 Menschen verhört und zum Teil schwer gefoltert worden.“

Bis heute seien die Verbrecher von damals noch nicht zivilrechtlich verfolgt, die Opfer noch nicht entschädigt worden. „Auch heute gibt es in Chile noch Fälle von Folter. Da denkt die Regierung natürlich nicht daran, die historischen Altlasten aufzuklären“, so Paschen.

Ganz tief unten in der „Esmeralda“, in einer luxuriösen, aber bedrückend engen Kabine sitzt Kapitän José Miguel Romero. An der Tür wachen kräftige Uniformierte mit verschränkten Armen. Romero schaut auf den Tisch und murmelt etwas auf Spanisch. Ein Deutsch sprechender Gehilfe übersetzt: „Der Kapitän wünscht keine Fragen zur Vergangenheit.“ Später sagt er: „Wir wissen zu wenig von der Sache, um darüber zu sprechen.“ Statt dessen zeigt der Kapitän eine bunte Dia-Show: jede Menge Technik, Bilder von Staatsbesuchen, ein kurzer historischer Abriss. Die Geschichte der „Esmeralda“ endet darin im Jahr 1954, als die Chilenen das Schiff von den Spaniern aufkauften. Die knapp 20 Jahre später beginnende Pinochet-Diktatur wird in der Dia-Show mit keinem Wort erwähnt.

Kapitän Romero traf gestern Bremerhavens Oberbürgermeister Jörg Schulz zum Essen. In einem Schreiben an Amnesty International und die chilenische Botschaft in Berlin betont Schulz, er habe an den Vorwürfen von AI „keinen ernsthaften Zweifel“. Dies sei für ihn aber kein Hinderungsgrund, die „Esmeralda“ in Bremerhaven freundschaftlich zu empfangen. Das Schiff repräsentiere heute einen demokratischen Staat und die Besatzung habe nichts mit der alten Marine zu tun. Schulz versichert jedoch in dem Schreiben, „dass ich diesen Sachverhalt gegenüber den chilenischen Gästen zur Sprache bringen werde.“ Doch man habe „Anlass zu Zurückhaltung“, sei doch „in diesem Zusammenhang nicht zu vergessen, dass es auch in Deutschland nach 1945 versäumt wurde, das dunkelste Kapitel seiner Geschichte umfassend aufzuarbeiten.“

Während Politiker und Militärs hier wie dort um die richtigen Formulierungen ringen, schrubbt die übrige Besatzung der „Esmeralda“ die Planken an Deck. Die meisten Crew-Mitglieder sind keine 30 Jahre alt. „Die sollen doch die Leute fragen, die damals dabei waren“, sagt Funker Claudio Aguirre. Und: „Draußen wird sowieso viel mehr darüber geredet, als hier an Bord.“ Die junge Crew ist ohnehin mit anderen Dingen beschäftigt – „Wir suchen noch 80 junge Damen aus Bremerhaven als Tanzpartnerinnen auf unserer Cocktail-Party.“ Torben Waleczek