Der Schmerz der Vierzigjährigen

Theaterstücke über die Caffè-Lattesierung des Lebens will man eigentlich nicht mehr sehen, oder? Nun, hier ist eines, das zumindest gut umgesetzt wurde: „Stand by“ von Oliver Bukowski im Werkraum des Deutschen Theaters

Ein Mann hat einen Schmerz. Der Schmerz heißt Lene. Lene ist nicht da, der Schmerz schon. Das ist nicht logisch, aber so läuft es. Besonders mit 21.

Mit 31 oder 41 ist das aber nicht anders – wie überhaupt, glaubt man den Diskursmedien, in diesem Lebensabschnitt keine wesentlichen Veränderungen eintreten. Das Studium dient der verlängerten Pubertät, danach folgt die Berufsjugendlichkeit. Zusammen läuft das, wie die alte Dame in „Stand by“ bemerkt, auf die Hobbyunterkellerung des Lebens hinaus. Man trägt Trainingsjacken und als Themen zählen neben Mädchen und Musik nur angefangene a.k.a. abgebrochene Projekte. Besonders in Berlin. Sagt man. Hört man. Liest man. Man hat es so häufig gehört, gesagt und gelesen, dass von einer Verleumdungskampagne jener Menschen gesprochen werden muss, die in Würde 40 geworden sind. Deren Horizont über das Nutella-Glas hinausgeht. Die einen Konflikt austragen. Mann, würde man von denen gerne mal wieder was hören!

Mit „Stand by“ hat Oliver Bukowski, 42, genau so ein Stück über die Caffè-Lattesierung des Daseins geschrieben, wie man es eigentlich nicht mehr sehen will. Tom, Arzt, wurde also von Lene verlassen und hat sein Zimmer Jonathan-Meese-mäßig mit Pornobildern zugekleistert. Lene vögelt nun Basti, arbeitslos, und Matthias, Putzmann mit medizinischer Ausbildung. Sonja, Anwältin, die wir nie arbeiten sehen, und Nickel, der sich seine Lattes von Sonja und seine Romanprojekte von Tom finanzieren lässt, wollen Tom über den Schmerz hinweghelfen. Das gelingt ihnen nicht, weil sie sich trotz hipper Trainingsjacken angiften wie die eigene spießige Elterngeneration. In einem Jargon, der schwer erträglich ist; egal ob von „Spermastau in den Klöten“, oder von fahren gelassenen „Pupis“ gesprochen wird. Sie alle führen ein Leben auf „Stand by“, wie Fernsehgeräte, die große Action-Thriller zeigen könnten, wenn man sie einschalten würde – bis dahin aber zappenduster im Wohnzimmer stehen, nur mit dieser schwachen roten Leuchte, die Bereitschaft signalisiert.

Im Werkraum des Deutschen Theaters hat Michael Schweighöfer die Uraufführung von „Stand by“ eingerichtet, und es ist ihm über weite Strecken gelungen, die Schwächen der Komödie auszubalancieren. Er führt die Figuren an die Grenzen der Lächerlichkeit und entscheidet souverän, wann sie darüber stürzen und flach auf den Bauch fallen. Dieser Mut auch zu Kalauern ist entscheidend, denn mit halber Kraft wären sie Rohrkrepierer; schmerzhaft bis zum Ende erzählt, vermitteln sie aber Authentisches von Pein und Peinlichkeit des Daseins. Gelingen kann das, weil die Schaupieler die Dialoge nicht nur rasant sprechen, sondern dabei einen Ton treffen, der es erlaubt, wahlweise mit oder über sie zu lachen. Und es gelingt, weil die Bühne clevere Angebote macht: Mal wird im begrenzten weißen Raum gespielt, mal öffnet sich der eiserne Vorhang und das Publikum blickt vom Werkraum in den Zuschauerraum der Kammerspiele als weitläufigen Spielort, mal verschwinden die Schauspieler halb unter der Bühne wie beim Kasperletheater und mal stehen sie vor dem Vorhang wie Stand-up-Comedians. Diese disparaten Situationen und Identitätsmodelle erzählen einiges über die Suchbewegungen der Figuren – dass Bukowski am Ende einen Selbstmord und einen Liebesmord aus dem Hut zaubert und die alte Dame das moralschwere Finale „Ich ekele mich vor Ihnen“ sprechen lässt, wäre also gar nicht nötig gewesen. CHRISTIANE KÜHL

Deutsches Theater, Werkraum, Schumannstr. 13a, Mitte. Nächste Vorstellungen: 4., 10., 18. Mai, 20 Uhr