Ussama in der Reuse

Eine merkwürdige Begegnung beim Fischen vor der Küste von Dubai

Seit Wochen suchte ich meine blaue Mütze, die mit dem praktischen Sonnenschirm. Ich hatte bereits überall nachgesehen, doch meine blaue Mütze war unauffindbar. Aber ich wollte nicht jammern, andere Leute müssen viel wichtigere Dinge suchen. Die grübeln zum Beispiel jede Nacht darüber, wo wohl Ussama Bin Laden ist. Da haben sie Afghanistan erledigt, den Irak umgegraben und Syrien ausgequetscht, aber das, wonach sie suchen, haben sie trotzdem nicht gefunden. Ich war froh, dass ich nur meine blaue Mütze suchte. Doch dann passierte das mit Dubai.

Ich war ein bisschen umhergereist und irgendwie in die Vereinigten Arabischen Emirate geraten, genauer: an die Küste von Dubai. Einige Kilometer nordwestlich wurde gerade der Irak … – aber das habe ich ja schon erwähnt. Es war früher Morgen, die Reusenmacher hatten gerade erst ihr Tagwerk aufgenommen. Reusen sind große Körbe aus Draht und seit vielen Jahren die beliebtesten Arbeitswerkzeuge der Fischer von Dubai. Und dann muss man noch wissen, dass die Reusenmacher in Dubai aus Afghanistan kommen, genauer: aus Tora Bora. Die Jungs haben zum Arbeiten in die Emirate rübergemacht, weil in ihrer Heimat ja kein Stein mehr auf dem anderen steht. Jetzt sitzen sie von morgens bis abends am Strand von Dubai und flechten Reusen.

Als die Sonne aufging, machte ich Bekanntschaft mit Käptn Hammad. Käptn Hammad hat ein schönes, kleines Fischerboot, einen anderthalb Meter langen Bart und eine Stevie-Wonder-Sonnenbrille. Selbstverständlich ist er ein eingefleischter Islamist. Er sagt gern Sätze wie: „Islam good, America bad.“ Ich überlegte kurz, fand aber keinen Grund, zu widersprechen. Mein Schweigen schien Käptn Hammad zu gefallen, denn er lud mich ein, ihn auf seiner Fischfangfahrt zu begleiten.

Zwei Stunden später waren wir meilenweit draußen auf dem Persischen Golf. Käptn Hammad stoppte die Maschine und befahl seinen fünf indischen Gehilfen, den Reusensucher auszuwerfen. In den folgenden Stunden vollzog sich immer wieder die gleiche Prozedur: Die Inder zogen eine Reuse nach der anderen an Bord, schüttelten die zappelnden Fische heraus und warfen die Reusen mit Brot als Köder darin wieder ins Meer. Käptn Hammad hatte gerade begonnen, mir eine Vorlesung über die geopolitische Weltlage zu halten, da geschah es: In einer besonders großen Reuse, die gerade an Bord gehieft wurde, saß ein Mann. Alle erkannten wir sofort, wer das war. Diese lila Schatten um die Augen, diese ruhigen Bewegungen und diese sanfte Stimme, mit der er uns ein „Salamu alaikum“ erbot – es konnte keinen Zweifel geben. Er sah so mitgenommen aus mit all dem Tang im Bart. Und dann erst die Quallen, die sich scharenweise an ihm festgesaugt hatten.

Während ich noch ergriffen auf diese Szene starrte, handelte Käptn Hammad rasch. Mit seinem Krummdolch schlug er das Tau des Reusensuchers durch – und schon versanken Korb und Mann wieder im Meer.

Die Rückfahrt zur Küste verbrachten wir schweigend. Käptn Hammad war der Vorfall offensichtlich peinlich, und ich überlegte angestrengt, wer oder was sich wohl sonst noch in einer Reuse auf dem Grund des Persischen Golfs verstecken mag. Vielleicht der Herr Hussein aus Tikrit? Oder meine blaue Mütze?

FLORIAN HARMS