„Frei, gleich, gerecht“

Gewerkschafter greifen die Bundesregierung auf Mai-Kundgebungen scharf an. Mehr als 500.000 Teilnehmer

BERLIN taz ■ Der strahlende Sonnenschein in Berlin stand im krassen Gegensatz zur mitunter wütenden Botschaft der Demonstranten. Mehr als 20.000 Gewerkschafter und andere Linke waren zur zentralen 1.-Mai-Kundgebung in die Hauptstadt gekommen, um gegen die Sozial- und Arbeitsmarktpolitik der rot-grünen Bundesregierung zu protestieren. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) war erstmals nicht eingeladen worden.

Die Politik der Bundesregierung sei weder sozial noch gerecht, sagte DGB-Chef Michael Sommer vor dem Berliner Roten Rathaus. Die Kundgebung stand unter dem Motto „Unser Europa – frei, gleich, gerecht“. „Wir werden weiter demonstrieren, bis es für die Masse der Bevölkerung besser wird“, kündigte Sommer an. Zwar glaube die Regierung, die Massenproteste vom 3. April ignorieren zu können, „aber das werden wir nicht zulassen“. Die IG Metall kündigte eine Unterschriftensammlung an, um die Regierung zu einem Kurswechsel zu bewegen.

Millionen von Menschen hätten zum „Leben zu wenig und zum Sterben zu viel“, so Sommer weiter. Betroffen seien nicht nur Sozialhilfeempfänger, sondern auch arbeitslose Akademiker, Alleinerziehende, Rentner und Jugendliche. „Die Agenda 2010 ist zum Synonym für die Zweidrittelgesellschaft geworden.“ Ein Drittel werde abgeschrieben.

Die Entwicklung in Ostdeutschland habe bewiesen, dass Billiglöhne keine Arbeitsplätze schafften, stellte Sommer fest. Die Situation in Ostdeutschland sei das Produkt einer falschen Sanierungspolitik in den 90er-Jahren. Der Osten habe sich statt zu der befürchteten verlängerten Werkbank zum „verlängerten Ladentisch“ entwickelt. Dies dürfe kein Vorbild für die EU-Osterweiterung werden.

Zuvor waren die rund 20.000 Demonstranten friedlich vom Brandenburger Tor durch die Berliner Innenstadt zum Roten Rathaus marschiert. „Neoliberal ist asozial“ oder „Nichts ist gut so – schon gar nicht in Berlin“ war unter anderem auf den Transparenten zu lesen.

In Köln kam es zu einem Eklat während der Mai-Kundgebung. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Peer Steinbrück (SPD) brach seine Rede wegen eines gellenden Pfeifkonzerts ab. Die rund 2.000 Demonstranten hatten Steinbrück mit „Hau ab“-Rufen und hochgehaltenen roten Karten empfangen. Bundesweit nahmen nach Gewerkschaftsangaben rund eine halbe Million Menschen an mehr als einhundert 1. Mai-Kundgebungen teil. RICHARD ROTHER