BERLIN - VON KENNERN FÜR KENNER
: Innenwelt zu Außenwelt

Leerstelle (7): Transparenz braucht nicht immer Glasfassaden

An dieser Stelle beschäftigen sich Franziska Hauser (Fotos) und Thomas Martin (Text) vierzehntäglich mit den Nebenstellen des Lebens.

Wenn das beschädigte Leben irgendwo Gestalt gewonnen hat, dann hier. Und über die Reflexion hinaus. Die Innenwelt zur Außenwelt geworden – in ungeschönter Blöße beide, transparent die eine in der andern – so sieht es aus. Auf den ersten vorbeifahrenden Blick. Auf den zweiten wird man sich fragen, wie es weitergehen soll. Das ist nur die übliche Frage des an Kontinuität gewohnten Städters mit meist weniger als mehr der so genannten bürgerlichen Bildung, die hier vor allem eins bemängeln wird: Ästhetik. Aber eins dafür nicht abstreiten kann: Proportion. So roh das eine, so in Maßen wie berechnet bietet sich das andere dar; der schachbrettartige Fußbodenbelag im Vordergrund hebt es hervor.

Ein Badezimmer wird hier nicht gewesen sein, vielleicht eine Großküche zu ebener Erde oder sonst eine mit Fliesen belegte Halle jenes im Hintergrund sich noch aufrecht haltenden Flügels, der (vor zehn Jahren noch) den Komplex eines einmal bedeutenden Betriebes nach Osten hin beschloss. Die Geschichte lässt sich von 1863 bis zur Gegenwart in Stichworten greifen: Klempnerei – Gasgeräte groß und klein – Rüstungstechnik – Ausrüstung von Schienenfahrzeugen, inhaltlich; formal: Familienbetrieb (Julius Pintsch) – Mittelstand – Großbetrieb – VEB – Schrumpf-GmbH – Übernahme (Bombardier), heute ausgelagert nach Marzahn. Denkmalschutz wird nicht hinreichen, längeres Überleben des Restbaus zu sichern; die Regression und ungeklärte Eigentumsverhältnisse halten dieses Stück Brachland offen für Einblick und Deutung. Archäologie und Kunstgeschichte reservieren hierfür das schöne Fremdwort Palimpsest: die über Jahrzehnte, Jahrhunderte fortwährend beschriebenen Schichten sind, eine unter der anderen, noch nachzulesen.

Der in seinem Ausmaß virtuell als Kasten vorstellbare Leerraum wird zweifellos begraben unter gläsernem Hochbau, wie er ein paar hundert Meter weiter die Gleise zwischen Ostbahnhof und Jannowitzbrücke flankiert. Das Verkehrsschild, das vor der Ausfahrt mit mehr als zehn Kilometern die Stunde warnt, warnt jetzt gegen die Wand, die den Torbogen abriegelt gegen Bewegung. Andreasstraße 71–73 geschlossen. Die Graffiti sollen sprachlos bleiben – auch sie werden verschwinden demnächst. Die Karos auf der Erde, unter denen sich ein Fundament größeren Volumens erstreckt, sollen noch bleiben – sie führen in Blickrichtung direkt auf den offen liegenden Trakt, den einmal Quergebäude und Seitenflügel verbanden mit Treppenhäusern, Korridoren, Fabrikhallen und dem Stadtbahnviadukt, jahrzehntelang von tausenden betreten in Ausübung ihrer Angestelltenpflicht. Davon ist nun nur das Äußere auf vier, fünf Etagen geblieben. Das Äußere, das früher verborgenes Inneres war. Was heute in komplex verglasten Bauten skrupellos der Öffentlichkeit präsentiert wird, wird es nicht nur der belastbareren transparenten Materialien wegen – auch weil dahinter dargestellt wird, was als Arbeit in ihren spezifischen Konditionen kaum auszumachen ist, dafür als Dienstleistung zwischen zwei Monitoren: dem des Computers und dem der schön getönten Scheibe. Ein schmerzfreier Oberflächendiskurs, der durch die Glashülle den Bau als Organismus einer Zukunft schimmern lässt, die nach Handarbeit kommt. Unser Leben definiert alsbald von strahlenden Tafeln, auf die wir ein gelenktes Leben lang blicken; auf denen wir unser Inneres gespiegelt finden in Pixeln, deren Informationsgehalt endlose Variationen der Antizahl Null sind, die als Symbol betrachtet das reine Äußere ist, das alles enthalten kann und auch nichts.

Ein Äußeres, das einmal Inneres war. Ein privaten, wenn nicht intimen Zwecken zugedachtes (dritter Stock), das Duschkabine oder Klo beherbergt hat, worauf die Kacheln (weißblau) verweisen. Das so genannte (unbekannte) kollektive Gedächtnis bewahrt ähnliche Bilder auf: Häuser, denen Seitenwände weggebombt wurden bis auf einen Strunk, Häuser, die nur aus Treppenaufgängen bestehen, die sich auf eine übrig gebliebene Brandmauer stützen, sonst nichts. Und immer noch waren die Trümmer bewohnt, manche sind restauriert im Zustand offen daliegender Treppenabsätze, die vergangene Raumaufteilungen im Gedächtnis einfordern, ausgeschildert mit Namen ihrer letzten Bewohner. Hier dreht ein Sicherheitsdienst seine stumpfsinnige Runde, bis ein Bauherr aufkreuzt und abreißen und tiefbauen und hochziehen lässt, was an nichts mehr erinnert. THOMAS MARTIN