US-ARMEE: FOLTERVORWÜRFE ERSCHRECKEN DIE FERNSEHZUSCHAUER
: Der Präsident und seine Soldaten

Fernsehzuschauer und Zeitungsleser in den USA haben allen Anlass zum Gruseln. Sie erfahren derzeit, dass ihre Soldaten keine leuchtenden Beispiele für Demokratie und Menschenrechte sind, sondern in Husseins einstigen Folterkammern ihre eigenen sadistischen Spiele treiben. Die New York Times bezeichnet die Misshandlungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib sogar als „Albtraum“ für das Ansehen der Militärs, ja ganz Amerikas in der Welt – eine Einschätzung, die von einer breiten Medienöffentlichkeit in den USA geteilt wird.

Der ganze Vorgang wäre einfach zu bewältigen gewesen, hätten die Misshandlungen als Einzelfälle einiger irregeleiteter und unter Stress stehender Soldaten verstanden werden können. Doch plötzlich geraten die Streitkräfte als US-Institution insgesamt in Misskredit. Jetzt sollen die Reservisten auf Befehl ihrer Offiziere gehandelt haben, um Gefangene zu Aussagen zu zwingen, möglicherweise ein im Irak weiter verbreitetes Phänomen. Gänzlich in Frage stellen werden die Amerikaner „ihre“ Mission im Irak dennoch nicht. Doch die Vorfälle fördern das wachsende Unbehagen an diesem Krieg. Wenn die US-Medien beklagen, dass den GIs an der Front die Regeln der Genfer Gefangenenkonvention nicht bekannt sind, weil sie unzureichend trainiert wurden, weist das auf den Kern des Problems: Amerika nimmt es in seinem Krieg gegen den Terror eben nicht so genau mit dem Recht.

Insofern ist die Hemmungslosigkeit in Abu Ghraib durchaus symptomatisch. Auch in Guantánamo werden den Gefangenen grundlegende Rechte verweigert: Der Präsident ernennt selbst US-Staatsbürger per Dekret zu „feindlichen Kämpfern“ und versagt ihnen durch diesen Willkürakt Anwaltsbeistand und Gerichtsverfahren. Mutmaßliche Terroristen werden in Länder überstellt, in denen nachweislich gefoltert wird, sodass andere die schmutzige Verhörarbeit für die US-Geheimdienste erledigen. Nicht zuletzt bleibt der Irakkrieg eine völkerrechtswidrige Invasion. Stück für Stück gibt die USA das „rule of law“ auf, den Rechtsstaat. Ein Vorbild für seine Soldaten ist Bush, wenn überhaupt, nur im negativen Sinn. MICHAEL STRECK