Trichet nimmt Kurs auf Frankfurt

Mit dem Freispruch im Pariser Bilanzskandal-Prozess um den Crédit Lyonnais wahrt der Franzose seine Chancen, Wim Duisenberg als Chef der Europäischen Zentralbank abzulösen. Die EU-Kommission in Brüssel zeigt sich erleichtert

aus Paris DOROTHEA HAHN

Kaum hatte der Richter gestern Mittag in Paris seinen Freispruch für Jean-Claude Trichet verkündet, machte das Urteil die Runde durch die europäischen Machtzentralen. Als Erster zeigte sich EU-Kommissionspräsident Romani Prodi in Brüssel erleichtert: „Ich freue mich“, sagte er. Trichet selbst fasste sich knapp: „Ich bin bewegt.“ Kurzsilbig war er schon während des Prozesses gewesen. Sein Kommentar damals: „Ich habe Vertrauen in die Justiz meines Landes.“

Der 60-Jährige, der sich seit Anfang des Jahres wegen Beihilfe zu Bilanzenfälschung vor einem Strafgericht in Paris verantworten musste, darf jetzt auf eine baldige Beförderung nach Frankfurt am Main hoffen. Schon beim morgen beginnenden EU-Gipfel in Thessaloniki will die französische Regierung seine Kandidatur für den Posten des Europäischen Zentralbankchefs erneut bestätigen, verlautete gestern Mittag aus dem Finanzministerium. Mehrere europäische Regierungen hatten schon vor Urteilsverkündung erklärt, dass sie die Kandidatur unterstützen.

Trichet, der gegenwärtig Gouverneur der französischen Zentralbank ist und früher für das Pariser Finanzministerium gearbeitet hat, gilt in EU-Finanzkreisen als ideale Besetzung für die zweite Hälfte der ersten Amtszeit an der Spitze der EZB.

Qualifiziert hat er sich durch sein strenges Vorgehen gegen die Inflation und jedwede politische Einmischung in die Angelegenheiten der Zentralbank. Außerdem tritt er dafür ein, die Staatsausgaben zu senken – auch das gehört zu jenen Dingen, die in der EU gelobt werden. Zu Hause freilich eckt Trichet mit diesem Rigorismus heftig an. In den letzten Tagen haben wieder mehrere tausend seiner KollegInnen in der französischen Zentralbank gegen die von ihm geplanten Zweigstellenschließungen und Personalreduzierungen demonstriert und gestreikt.

Trichets wichtigster Joker ist jedoch politischer Natur. Er hat die Unterstützung von Staatspräsident Jacques Chirac. Chirac hatte seinen Landsmann in einer Nachtsitzung bei einem EU-Gipfel Ende der Neunzigerjahre gegen den Willen von Bonn-Berlin, das den Niederländer Wim Duisenberg für die komplette achtjährige erste Amtszeit gewollt hatte, durchgepaukt. Am Ende gab es nichts Schriftliches. Aber der Niederländer erklärte selbst, er werde zur Halbzeit zurücktreten. „Aus Altersgründen“, wie er freundlich hinzufügte.

Die Amtsübergabe von Duisenberg an Trichet war für den 9. Juli geplant. An dem Tag feiert der Niederländer seinen 68. Geburtstag, und die erste Hälfte der Amtszeit ist herum. Dieses Datum durchkreuzte das Strafgerichtsverfahren wegen Bilanzenfälschung und anderer Misswirtschaft an der Spitze der einst staatlichen französischen Großbank Crédit Lyonnais. Angeklagt waren neun Männer, darunter neben Trichet mehrere Exchefs des Crédit Lyonnais. Drei von ihnen wurden zu mehrmonatigen Bewährungsstrafen verurteilt, sechs freigesprochen. Trichet war vorgeworfen worden, er habe während der Zeit im Finanzministerium zu der Vertuschung der hohen Verschuldung der Bank beigetragen.

Während des Verfahrens hielten die meisten Politiker Trichet die Stange. Wenige Tage nach Prozesseröffnung versicherte Chirac, er sehe keinen Anlass, nach einem anderen Kandidaten Ausschau zu halten. Auf EU-Ebene baten die Finanzminister Duisenberg darum, ein paar Monate länger zu bleiben.

Als letzte Hürde auf dem Weg an die Spitze der EZB muss Trichet jetzt die Pariser Staatsanwaltschaft nehmen, die zehn Monate Gefängnis auf Bewährung für den Bankier gefordert hatte. Jetzt hat sie bis zum 7. Juli Zeit, seinen Freispruch anzufechten.