Wirtschaft entdeckt die Jugend im Osten

Die deutsche Industrie beugt dem Fachkräftemangel vor, indem sie in polnische und tschechische Schüler investiert

DRESDEN taz ■ Die Bezeichnung des Projekts klingt nach netten Exkursionen in die Werkhalle oder nach europäischem Schülermonopoly: „Schule Wirtschaft Euregios“ meint ein grenzüberschreitendes Netzwerk von Schulen und Firmen in der deutsch-polnisch-tschechischen Euroregion Neiße. Initiiert von der Stiftung der Deutschen Wirtschaft und unterstützt von mehreren sächsischen Partnern, wurde es mit viel Weihrauch kurz vor den EU-Beitrittsfeiern in Dresden ins Leben gerufen. Kinder sagten artig ihre Lobsprüche auf, ihr sächsischer Kultusminister Karl Mannsfeld (CDU) sprach davon, dass sich Schule dem wirtschaftlichen Umfeld öffnen müsse. Und das, weil es gerade dem allgemeinen Trend entspricht, natürlich paneuropäisch.

Erst auf ausdrückliche Nachfrage, dann aber mit erfrischender Offenheit bestätigt Prof. Frieder Sieber, Vizepräsident der Vereinigung der Sächsischen Wirtschaft, den eigentlichen Zweck des Projekts. Die wahren Adressaten dieser verdeckten Berufsberatung sitzen auf tschechischen und polnischen Schulbänken. „Es geht darum, dem Fachkräftemangel zu begegnen, der uns in einigen Jahren in hohem Maße erwartet. Wir wollen eine Bindung der deutschen, der tschechischen und der polnischen Jugend an unsere sächsische Wirtschaft erreichen.“

Diese Kontaktanbahnung von Schülern mit der Wirtschaft wäre demnach überwiegend eine Einbahnstraße in Richtung Deutschland? Sieber nickt bedeutungsschwer. Es gilt ganz ungeniert, mit tschechischen und polnischen Potenzialen zu ersetzen, was an Nachwuchs in Sachsen wegen des Geburtenrückgangs ausbleibt oder abwandert. Siegrun aus dem Gymnasium im grenznahen Seifhennersdorf kann sich zwar vorstellen, trotz des Einkommens- und Wohlstandsgefälles auch in Tschechien zu lernen und zu arbeiten. Und Berufsberaterin Malgorzata Maicka aus dem polnischen Walbrzych gibt zu bedenken, dass es nicht nur um Ortswechsel gehe. Viele polnische Firmen arbeiteten schon mit deutschem Kapital und viele deutsche Firmen mit Arbeitern in Polen. Aber der vierzehnjährige David aus dem tschechischen Liberec, der eben noch brav das Lob der deutsch-tschechischen Nachbarschaft aufgesagt hatte, liegt mit seiner Lebensplanung schon voll auf Linie. „Ich kann es mir ganz toll vorstellen, wenn ich in Deutschland arbeiten kann. Ich möchte ein großes Haus haben in Deutschland und dort leben, wenn ich groß bin!“

MICHAEL BARTSCH

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