Zurück aus dem Abseits

Nach einem wegen Verletzung verlorenen Jahr versucht der Radprofi Andreas Klöden wieder Anschluss zu finden und kämpft beim Team Telekom um einen Tour-de-France-Platz

„Ich bin so ’ne Art Flop gewesen und kann aus’m Windschatten kommen“

von JÖRG FEYER

Das Frühjahr des Jahres eins n. U. (nach Ullrich) lief für das Team Telekom so gut wie lange keins mehr. Zumindest bis zur Deutschland-Tour. Dabei war die Mannschaft nicht mal auf die übliche Solonummer von Erik Zabel oder die teuren Neueinkäufe angewiesen. Vielmehr redete man über Alexander Winokurow, der nicht nur die Fernfahrt Paris–Nizza, sondern mit dem Amstel Gold Race auch sein erstes Weltcup-Rennen gewann. Man redete über Andreas Klier, der als erster Deutscher überhaupt beim belgischen Halbklassiker Gent-Wevelgem triumphierte. Und man redete über die couragierten Antritte von Youngster Matthias Kessler und Oldie Rolf Aldag bei Lüttich–Bastogne-Lüttich beziehungsweise Paris–Roubaix. Nur von Andreas Klöden redete niemand mehr.

Das war vor drei Jahren noch ganz anders. Damals redete die gesamte Radsportwelt von dem ranken Athleten aus Mittweida, der bei 183 Zentimeter Körpergröße nur 63 Kilogramm in den Sattel bringt, nachdem er mit Paris– Nizza und der Tour durchs Baskenland gleich zwei anspruchsvolle Frühjahrsrundfahrten für sich entscheiden konnte; ein zweiter Platz bei der Deutschland-Tour und die Bronzemedaille im olympischen Straßenrennen von Sydney rundeten das große Klöden-Jahr 2000 ab. Im Jahr darauf bewährte er sich nach einem Bandscheibenvorfall immerhin bei seinem Tour-de-France-Debüt noch als wertvoller Helfer für Jan Ullrich. Doch spätestens 2002 war auch für Klöden selbst „ein verlorenes Jahr“. Erst vereiterten Nasen- und Nebenhöhlen, dann streikte nach falscher Belastung im Kraftraum das Knie, „und schon holt man sich aus fünf Minuten auf einmal drei Monate“.

Drei Monate Pause. Und dann noch in etwa drei mal so viel Zeit, um wieder dahin zu kommen, wo man einmal war. Ein Geduldsspiel. Klöden: „Das ist ja das Gefährliche daran. Drei Wochen kann jeder Sportler mal aushalten, ist vielleicht sogar froh über die Pause. Aber nach vier Wochen … Und dann trainiert man wieder, merkt nicht viel davon, belastet einen Tick zu stark – und schon fängt wieder alles von vorne an. Man muss sich zurückhalten.“

Seine Zurückhaltung konnte er in dieser Saison aufgeben, die darüber entscheiden dürfte, ob er noch mal Siegfahrer werden kann oder künftig „nur“ als Wasserträger Windschatten für die Stars spendiert. Die Trainingspläne für den Neustart schrieb ihm erstmals Thomas Schediwie, der auch schon den Teamkollegen Steffen Wesemann zum ambitionierten Klassikerjäger reifen ließ. „Die Ergebnisse stellen sich ja nicht gleich ein, das ist ja immer ein kleiner Prozess“, bittet Klöden noch um etwas Geduld. Bei der anspruchsvollen Frühjahrsrunde Tirreno–Adriatico reichte es immerhin schon mal zu Platz 7 in der Gesamtwertung, das Zeitfahren beim Criterium International beendete Klöden sogar als Zweiter.

Solche Ergebnisse lassen auch die Verantwortlichen beim Team Telekom wieder hoffen, die „in den schlechten Jahren zu mir gestanden haben“. Im blühenden Frühjahr 2000 standen ja auch andere Topteams wie Mapei, Cofidis und Rabobank bei Klöden auf der Matte, doch „damals wollte ich den Schritt ins Ausland noch nicht machen. Und wer weiß, was aus mir geworden wäre, wenn ich die letzten beiden Jahre dort gehabt hätte.“ Und es schwingt mit: Womöglich ein Profi im Abseits, der – voller Selbstzweifel – im schwieriger gewordenen Metier vielleicht schon vor dem Aus stünde. Oder zumindest in der zweiten Reihe.

So hat es Klöden wohl richtig gemacht, als er stattdessen bei Telekom verlängerte, besser dotiert versteht sich. Der Vertrag läuft dieses Jahr aus. Auf „70 bis 80 Prozent“ taxiert Klöden die Chance, dass er auch nach dieser Saison weiter in Magenta fahren wird, zumal Telekom inzwischen „ja selbst ein richtig internationales Team geworden ist. Für mich ist das keine schlechte Situation. Die teuer eingekauften Fahrer aus dem Ausland müssen sich bei uns auch erst mal beweisen, das Augenmerk ist auf sie gerichtet. Ich bin zuletzt so ’ne Art Flop gewesen und kann jetzt wieder aus’m Windschatten kommen. Das ist besser, als die ganze Zeit den Druck zu haben.“ Dass er dem auch „mal standhalten kann, wenn ich als Mitfavorit an den Start gehe“, bleibt seine Hoffnung.

An den Start der Deutschland-Tour konnte Klöden dann entgegen der Planung aber doch nicht gehen. Eine Vorsichtsmaßnahme auch in Sachen Image: Einen nur mitrollenden Klöden wollte Telekom sich vor heimischer Kulisse nicht zumuten. Denn diesmal streikte kurz vorher das andere Knie, „überraschend“, wie Teamarzt Lothar Heinrich einräumt. Im Training bei kühler Witterung zu lange im Regen gefahren, und schon war sie da, die „Überlastung im Gleitlager“. Allerdings, so Heinrich, „lange nicht so gravierend wie im Vorjahr.“ Klöden konnte im Training bleiben, musste nur vorübergehend Umfang und Intensität reduzieren.

So wird erst die schwere Katalonien-Rundfahrt in dieser Woche zum wichtigen Fingerzeig für seine nähere Zukunft, zumal sie bei Telekom als weiteres Ausscheidungsrennen für einen Platz im Tour-de-France-Team gilt. Als starker Mann im Kampf gegen die Uhr ist Klöden da womöglich im Vorteil, zumal das Mannschaftszeitfahren nach der Verpflichtung von Zeitfahrweltmeister Santiago Botero „erste Priorität“ (Klöden) haben wird. Dr. Heinrich ist jedenfalls überzeugt, dass Andreas Klöden die Tour fahren kann „und dann auch in den Bergen gut sein wird.“ Nur halt nicht mehr mit seinem Freund Jan Ullrich, sondern gegen ihn.