Konzeptuell, theatral und musikalisch aufbereitet: Die Reihe „... eat it!“ auf Kampnagel widmet sich dem Essen
: Kulinarischer Reigen, nicht immer appetitlich

Mit dem Essen kommt der Appetit, heißt es – zuweilen auch auf Nahrung für die Sinne, Futter für die Seele gar. Kampnagel tischt jetzt eine Reihe zum Thema Essen auf und lässt Leckerbissen mehr oder minder kulinarischer Art die Phantasie beflügeln: „... eat it!“ dekliniert die Rituale der Nahrungsaufnahme durch – Genuss und Völlerei, Bauchschmerzen und Würgereiz inklusive. Denn Kurator Zeljko Zorica will viel: „... eat it!“ soll zeigen, „inwiefern ästhetische Schocks noch in der Lage sind, soziale, künstlerische und ethische Umstände zu verändern“, sagt er – oder hofft es.

Einen Schocker tischt Zoran Todorovic gleich am Sonnabend in seiner Lecture-Installation „Assimilation 3“ auf: Das Publikum ist eingeladen, mit ihm über Schönheitskulte und Essgewohnheiten zu philosophieren, über den Wunsch nach einem fettlosen Körper bei gleichzeitiger Lust auf fettes Essen. Da scheint die Gelatine, die jetzt kunstvolle Törtchen glasig umhüllt, irgendwie verdächtig. Sollte bei Fettentsorgung und Umverteilung etwa ein plastischer Chirurg seine Finger im Spiel gehabt haben? Guten Appetit bei einem wahrlich kannibalischen Vergnügen.

In allen Epochen und Kulturen gilt: Kaum ein existenzielles Bedürfnis ist ausgiebiger ritualisiert worden als das Essen. Konzeptuell, theatral und musikalisch aufbereitet, scheinen die Möglichkeiten der Auseinandersetzung für die Künstler grenzenlos. Aus ganz Europa kommen sie zusammen, um Kulturübergreifendes und Trennendes gegenüberzustellen. Archaisches stand dabei genauso Pate wie die Manierismen des Barock oder auch die Pop-Art.

Auch Hamburger Bekannte sind dabei, Geschmackstraktiererin Mariola Brillowska etwa und der junge Regisseur Andreas Bode. Brillowska verführt zum gegenseitigen Anknabbern: In ihrem „Ritual Kanibalski“ (14. Mai) wird Deutschlands Super-Opfer gesucht. Bei Bode werden gar die Götter verspeist. Seine Inszenierung von Euripides‘ Die Bakchen geht vom 19. Mai an dem Motiv des „Gott-Essens“ im Dionysos-Kult auf den Grund. Auch Kampnagels Juniortruppe S[k]ampis ist mit von der Partie, um „visionär zu kochen und experimentell zu essen“ (19. und 20. Mai).

„Ich habe dich zum Fressen gern.“ Oder zum Erwürgen, zum Anbrennen und Zerquetschen: In „Death is Certain“ von der Berliner Performerin und Choreografin Eva Meyer-Keller führt am 20. und 21. Mai kein Weg am Tod vorbei. Ihre Opfer sind 40 saftig rote Kirschen, die sie in ihrer lakonisch dargebrachten Performance auf alle erdenklichen Weisen, die ein Küchenalltag hergibt, um die Ecke bringt. Den sieben Todsünden widmet sich die slowenische Gruppe Via Negativa bis 2009 jährlich mit einer Performance. Erstmals in Deutschland kommt am 8. und 9. Mai „More“ (Foto) zur Aufführung: Die Beschäftigung mit der Völlerei als Theater ohne Überflüssiges.

„Sage mir, wie du genießt, und ich sage Dir, was du bist“, meint das holländische Künstlerduo Eric Hobijn und Arlette Muschter mit „The Tactile Machine“, einem Buffet der besonderen Art (am 8. und 9. Mai): Das Publikum isst von einem nackten Paar. Dessen Funktion und Wirkung geht bei dieser Art von erotischem Arrangement über die der lecker anzusehenden Essensablage hinaus: Gewicht, Geschmack und Geruch werden zu Erfahrungen, die die „Grenzen des gewohnten Geschmacks“ überschreiten.

Ein musikalisches Highlight verspricht in diesem kulinarischen Reigen das „Oratorium über Schurken, ihr Essen und ihre Kultur“ zu werden, von und mit dem US-amerikanischen Musiker, Poeten und Performer David Thomas, der einmal die Band Pere Ubu ins Leben rief. Gemeinsam mit dem dänischen Percussionisten P.O. Jörgens wird Thomas, angeblich der begnadetste Protagonist des zeitgenössischen Ragtime, am 15. Mai eine Reise ins ernüchternde nordamerikanische Hinterland antreten – dorthin, wo Cheeseburger und Baked Beans gedeihen, so kurios wie prächtig. Marga Wolff

8.–24.5., Kampnagel. Programm und Tickets: www.kampnagel.de