Edel groovt die Welt zugrunde

Trotz Wirtschaftskrise eröffnet am Prenzlberg ein Laden nach dem nächsten. Eines haben alle gemein: einen Verkäufer und zwei Plattenspieler

Wer sagt denn, die Wirtschaft sei am Ende? In Mitte und Prenzlauer Berg machen doch ständig neue Läden auf. Berliner Hipster: faites vos jeux. In der Schliemannstraße zum Beispiel: Lange Zeit stand der Laden neben dem schlecht laufenden Blumengeschäft leer, seit ein paar Wochen geht es hoch her: gleich zwei Neueröffnungen. Der Shop für Baby- und Elternkleidung im lustigen Goa-Trance-Style musste nach wenigen Tagen schon wieder schließen – unter den vielen Elternpaaren auf dem Helmholtzplatz hatten sich wohl zu wenige Spaßvögel gefunden. Nun residiert in dem Lokal eine neue Geschäftsidee: ironische Prints auf T-Shirts und Kapuzenpullis.

Wer George Bush nicht so gut findet, kann sich hier ein „Sheriff“-Shirt zulegen, wer die „Berlin“-Pullis, die es auf der Kastanienallee noch immer zu kaufen gibt, mittlerweile albern findet, kann jetzt mit „Beijing“ kontern. Auf dem Tresen des Ladens: zwei sündhaft teure Technics-Plattenspieler und ein Mischpult. So wie nachts im Club. Dahinter: ein Verkäufer, der so tut, als würde er Franz Ferdinand hören, heimlich aber jede Bewegung potenzieller Kunden, die sich in den Laden verirren, deutet. Ob da etwa jemand Geld ausgeben möchte? Hungrige Blicke hat sich die Verkäuferin des neuen Ladens am Helmholtzplatz, der neben Shirts auch Restbestände Pleite gegangener Plattenläden führt, schon abgewöhnt: Sie sitzt einfach vor der Tür und sonnt sich.

Wieder zwei Ecken weiter, im neuen Klamottenladen an der Eberswalder Straße, ist schon mehr los. Wirklich Geld ausgeben tut zwar auch hier niemand, aber Mia. dröhnen aus den Boxen: „Es ist nie-hie-hie zu spä-hä-hät!“ Die Technics-Plattenspieler, das Pflicht-Accessoire jedes wirklich hippen Shops, gibt es hier nur auf Papier, auf dem Werbeposter der Trendmarke „Jack Jones“. Die coolste Laden-Neueröffnung findet sich derweil in der Kastanienallee – in einem Lokal, in dem bis vor wenigen Wochen noch ein Plattenladen vegetierte. Die CD-Regale sind luftigen Metalldisplays gewichen, die nichts anderes präsentieren als: Schokoriegel. 110 verschiedene Sorten aus aller Herren Länder, viele davon aus Polen.

So viel Exklusivität hat ihren Preis: Für einen Riegel muss man zwischen 1,50 Euro und 1,80 Euro bereithalten. Ein Paradies für alle, die das mit dem Euro immer noch nicht richtig kapiert haben. Neben „Tootsie Roll“ und „Payday“ findet sich im Riegel-Repertoire auch Nestlés berüchtigter Gen-„Butterfinger“. Noch besser: „No Name“, die politisch korrekte Süßigkeit für „No Logo“-Fans. Geld ausgeben muss man leider auch für sie. Oder eben nicht.

Der Verkäufer wartet gelangweilt auf Kundschaft und schlägt seine Zeit damit tot, abzuwägen, welche Platte er als Nächstes auflegen könnte – auf einem der beiden Technics-Turntables, die vor ihm thronen. In ein paar Wochen, bei 35 Grad im Schatten, werden die süßen Überflüssigkeiten auf den Regalen zerlaufen, aber die coolen Technics werden sich weiter drehen. Vielleicht wird der Sommer auch gar nicht so heiß, aus Respekt vor der pfiffigen Geschäftsidee? Rien ne vas plus. Solange die Plattenteller kreisen, ist noch nichts entschieden. JAN KEDVES